Themenmonat: Darstellung von körperlicher Behinderung in digitalen Spielen

Was ist Behinderung? So lautete die Ausgangsfrage für unsere Beschäftigung mit dem gemeinsam ausgewählten Thema im Kolloquium. Und welche Beispiele von Figuren mit Behinderung in Spielen fallen uns ein? Aus diesen Fragen entwickelte sich schnell ein Thema, das wir gemeinsam sorgfältig behandeln wollten. Über Wochen hinweg näherten wir uns dem an, recherchierten, diskutierten und analysierten – und das wollen wir Euch nicht vorenthalten.

Im Sinne des Themenmonats werden ausgewählte Ergebnisse unserer Arbeiten an dem Thema im Verlauf des Februars auf diesem Blog veröffentlicht. Eine Übersicht aller Beiträge befindet sich am Ende des Artikels. Ob detaillierte Analysen zu einzelnen Spielen, Podcast-Beiträge mit Interviews oder eine Arbeitssammlung an Beispielen – dieser Monat steht im Sinne aller, die sich näher mit der Darstellung von körperlicher Behinderung in digitalen Spielen beschäftigen möchten.


Was ist Behinderung?

Behinderung – das kann je nach Perspektive etwas anderes bedeuten:

Besonders geläufig ist wohl die Annahme, dass der Mensch behindert sein kann. Nicht nur im alltäglichen Sprachgebrauch hat sich diese Sichtweise gefestigt, auch in der Medizin oder der Gesetzgebung steht der Behindertenstatus für eine Orientierungseinheit. Sie ermöglicht erst eine Standardisierung der Behandlung oder auch das Beantragen von Förderung und Unterstützung. Mit diesem Fokus erscheint der behinderte Mensch aber zugleich als körperlich oder geistig defizitär im Vergleich mit anderen Menschen. Seine Lebenswelt ist beeinträchtigt, weil er behindert ist. Das Etikett der Behinderung ist nicht nur eines der Unterstützung, sondern auch der Abgrenzung zur ‚Normalität‘ – und damit auch Nährboden für Diskriminierung. [1]

Eine Alternative bietet die soziale Perspektive, die in der UN-Behindertenrechtskonvention verfasst ist. Sie orientiert die Behinderung nicht am Menschen, sondern an den Elementen im Alltag, die ihn behindern. „Behinderung hängt nicht von einem Menschen ab. Sondern Hindernisse behindern die Menschen mit einer Beeinträchtigung.[2] Damit einher geht auch ein klares Ziel: Der Abbau von Hindernissen, z.B. über die Errichtung rollstuhlgerechter Architektur oder die Abkehr von diskriminierendem Verhalten.

Auf Basis dieser Gedanken beschlossen wir, die Schnittstelle der Darstellung von Behinderung mit dem Medium digitaler Spiele in den Fokus unserer Analysen zu legen. Schließlich war dies unser zentrales Interesse.


Welchen Einfluss üben digitale Spiele?

„Zeitungen, Zeitschriften, das Internet, Hörfunk, Fernsehen und Kino haben einen großen Einfluss auf Einstellungen, Meinungen, Urteile und Vorurteile. […] [V]iele Rezipient_innen übernehmen die Herangehensweisen der Medien und deren Blick auf die Gesellschaft oft kritiklos. Denn alternative Informationsquellen sind rar beim Thema Behinderung.“ [3]

Der Einfluss von Medienprodukten auf die gesellschaftliche Meinungsbildung zu Behinderung ist nach Rebecca Maskos groß. Ihre empfehlenswerte Kritik an dominanten, narrativen Mustern in Literatur und Film reicht weit. Doch ihrer Beschreibung fehlt stets das Medium digitaler Spiele – wie wir auch bei Heranziehen weiterer Literatur feststellen mussten. Damit nehmen wir uns ein vergleichsweise unbeachtetes Forschungsfeld vor.

Um der Frage nach der Darstellung von Behinderung in digitalen Spielen nachzugehen, half uns Colin Barnes‘ (überraschend aktuelle) Typologie wiederkehrender Stereotype behinderter Figuren aus dem Jahr 1992. [4] Viele seiner Kategorien stellten sich auch als prävalente Typen in digitalen Spielen heraus, während manche weiter verbreitet waren als andere. Doch Spiel ist nicht gleich Film oder Literatur. In den Beiträgen des Themenmonats wird es daher auch um die Aktualität seiner Typologie gehen sowie um modifizierte oder gänzlich neue Formen, die im Kontext spielmechanischer Aspekte liegen.


Wie haben wir an dem Thema gearbeitet?

In Vorbereitung auf unsere Beschäftigung mit dem Thema mussten wir einen Kompromiss eingehen: die Fokussierung der Analysen auf körperliche Behinderung. Für uns war es eine notwendige Einschränkung, um dem Thema in gegebener Zeit überhaupt gerecht zu werden. Andere Formen von Behinderungen erfordern andere Herangehensweisen – selbst die gewählte Kategorie ist in sich vielfältig.

Alle Teilnehmer_innen des Kolloquiums haben zudem eine Außenperspektive auf Behinderung, die wir durch gründliche Recherche und Perspektiven anderer ausgleichen, die über das Thema bereits geforscht haben. Schon bei der Beispielauswahl wie auch im Verlauf wurden Diskussionen stets durch Reflexionen unterbrochen – von Aussagen, Sichtweisen und Annahmen. In diesem Sinne verstehen sich auch die Beiträge in diesem Themenmonat als mögliche Interpretationen, die Diskussion anregen sollen.

Wir freuen uns daher über eine angeregte und sachliche Beschäftigung mit diesem Thema, zu der Ihr gerne betragen könnt. Denn auch für uns ist es inhaltlich keineswegs abgeschlossen!


Übersicht aller Beiträge zum Themenmonat:


Quellen:

[1] Vgl. Myhandicap.de, URL: https://www.myhandicap.de/behinderung/.

[2] Institut-fuer-menschenrechte.de, URL: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/was-ist-behinderung/.

[3] Maskos, Rebecca: „Bewundernswert an den Rollstuhl gefesselt – Medien und Sprache in einer noch nicht inklusiven Gesellschaft“. In: Theresia Degener / Elke Diehl (Hg.): Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bonn: bpb 2015. S. 308-319, hier: S. 309.

[4] Barnes, Colin: Disabling Imagery and the Media. An Exploration of the Principles for Media Representations of Disabled People. Halifax: Ryburn 1992. URL: http://disability-studies.leeds.ac.uk/files/library/Barnes-disabling-imagery.pdf.

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Über Alexander Henß

Alexander Henß (ah) studierte den M.A. Medien und kulturelle Praxis an der Philipps-Universität Marburg. Er hat eine ausgeprägte Leidenschaft für Indie Games. Überhaupt schaut er sich aber gerne mal alles an, mag dann auch manches, stellt Thesen auf und sammelt Eindrücke.