Pixeldiskurs-Podcast #77 – Gaming Disorder

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Die World Health Organisation hat die sogenannte Gaming Disorder in ihren vorläufigen Diagnosekatalog aufgenommen. Was aber bedeutet es, wenn wir exzessives Spielen als Krankheit verstehen? Und wieso sollte digitalen Spielen eine solche Sonderrolle im Zyklus aller Medien zukommen?

Außerdem geht es um Danganronpa 2, Civilization VI und #WHOgate.

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Inhalt:

00:00:00 – 00:46:00 Spielewoche (Danganronpa 2; Destiny 2; Gorogoa; Monument Valley II; Final Fantasy VI; Civilization VI)

00:46:00 – 01:18:00 Presseschau

01:18:00 – 01:52:00 Thema der Woche

Shownotes:

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Über Sophie Bömer

Sophie Bömer (sb) ist seit 2013 Studierende an der Philipps-Universität Marburg und hat vor Kurzem ihren Master in Medienwissenschaften begonnen. Obwohl sie sich selbst nicht unbedingt als eingefleischte Spielekennerin bezeichnen würde, hat sie dennoch Freude daran, sich (auf wissenschaftliche Weise) mit Videospielen aller Art auseinanderzusetzen. Neben diesem Interesse und dem beinahe ungesunden Konsum von Serien auf Netflix setzt sie sich auch gerne mal mit den Fan Studies auseinander.

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Über Nils Bernd Michael Weber

Nils Bernd Michael Weber schreibt und castet nun schon seit einiger Zeit für Pixeldiskurs.de. Ansonsten hat er eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert, einen Bachelor in Medienwissenschaft abgeschlossen und studiert nun im Master "Medien und kulturelle Praxis" an der Philipps-Universität Marburg. Er behauptet von sich selbst Ästhetiker, Feminist und Kulturkritiker zu sein. Ersteres lebt er in Maßen auf seinem Pinterest-Account aus.

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Über Stefan Heinrich Simond

Stefan Heinrich Simond (shs) publiziert und unterrichtet im Bereich der Game Studies am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Er promoviert zur Konstruktion psychischer Krankheiten und psychiatrischer Institutionen in digitalen Spielen, ist Chefredakteur bei pixeldiskurs.de und hostet den wöchentlichen Pixeldiskurs-Podcasts.

18 comments

  1. Ich verstehe nicht ganz die Unverständlichkeit die darüber herrscht, dass gerade Spiele in den Diagnosekatalog aufgenommen wurden. Spiele besitzen das Potential den Rezipienten sehr stark zu involvieren. Stärker als Filme oder Serien. Ja, MMOGs sind ein gutes Beispiel, jedoch besitzt jedes Spiel dieses hohe Potential. Durch einen Feedbackloop, den der Spieler sich permanent aussetzt, wird dieser nach jeder Eingabe bewertet und ggf. belohnt. Besonders stark zu beobachten z.B. bei MMOGs oder Puzzlegames. Aber auch in Singleplayer-Spielen ist das zu erkennen. Das Erreichen des nächsten Levels, das Sammeln von seltenen Items, oder einfach das Beenden des Spiels. Ebenfalls das Erreichen von persönlichen Zielen wie das Freischalten von Trophäen (Stefan!) oder das vervollständigen eines Gebäudes in Minecraft zeigt wie viel Potential der Involvierung das Medium Videospiel besitzt. Serien bspw. besitzen diese Potential nicht. Natürlich kann bei übermäßgen Konsum jedes Medium gefährlich werden. Aber ich halte es für unvorsichtig sich immer sofort schützend vor das Medium zu werfen, welches man liebt. Das merkt man daran, dass, wie er schon selbst erkannt habt, sofort der „Whataboutism“-Reflex getriggert wurde anstatt darüber zu diskutieren, ob das was in dem Eintrag steht wirklich auf Videospiele zu treffen.
    Das klingt ein bisschen hart, soll aber gar nicht so gemeint sein. Lediglich meine Gedanken zu dem Thema 🙂

    Cheers!

    1. Ich würde dir darin zustimmen, dass Videospiele die Möglichkeit haben – wie so ziemlich jedwede konsumierbaren Elemente – eine Sucht auszulösen, welche im klinischen Sinn als krankhaft kategorisiert werden kann. Allerdings wäre ich bei deinem Argument vorsichtig.
      Du bringst hier eine verabsolutierte These vor (Videospiele habe größeres Potenzial zur Suchtgenese als Filme oder Serien), welche einer Rezeptionsstudie bedürfte, um tatsächlich belegbar zu sein. Innerhalb deines Arguments schließt du von einer möglichen Variable – der Interaktivität des Mediums – auf einen kausalen Zusammenhang zum Anstieg des Suchtpotenzials anhand einer amorphen Masse. Um nun tatsächlich – wissenschaftlich – verwertbare Ergebnisse zu erzielen, bräuchtest du zuerst eine klar ausgezeichnete Grundgesamtheit an Fällen, die nun nach einem Methodenkatalog auszuwerten wären.
      Ein quantitatives Argument wie dieses funktioniert bloß durch eine transparente statistische Erhebung, wobei weitere Variablen – wie das soziale Umfeld, Bildungsgrad, Mediensozialisation, etc. – zwingend sind, um deine Erkenntnisse robust und aussagekräftig zu halten. Vermutungen schlicht anhand einer amorphen Masse – die Behauptung: Das denken sowieso alle! – zu quantifizieren verzerrt vielmehr die Ergebnisse.
      Damit meine ich nicht, dass nicht mittels klinisch-psychologischer Methoden eine Aufnahme eine der Diagnosekatalog nicht-stofflicher Süchte absolut sinnvoll für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium Videospiel darstellt. Stattdessen verweise ich auch qualitative Diskussionspunkte, wie die konkrete Ausgestaltung von Diagnoseformen, welche immer noch recht vage und wenig trennscharf sind. Es ging mir weniger darum zu sagen, Videospiele seinen potenziell suchtgefährender als andere Medien, sondern um die Frage, ob andere Diagnosewege vielleicht sinnvolle Ansätze für die Konkretisierung einer Suchterkrankung bieten.
      Mit dieser Antwort möchte ich dich nicht angreifen, wollte aber auf dieses Stringenzproblem innerhalb deines Argumentes verweisen.

  2. Es ist wichtig anzumerken keinesfalls gesagt zu haben, dass Videospiele durch ihre Möglichkeiten sofort Sucht erzeugen (Das Wort Sucht habe ich aus Gründen nicht erwähnt). Ich rede hier lediglich vom Potential. Was das letztendlich im Kopf des Rezipienten auslöst, ist nicht mehr mein Forschungsgebiet und benötigt auch, wie du geschrieben hast, einen quantitativen Forschungsansatz. Dennoch lässt sich durch qualitative Forschung die Methoden und Werkzeuge untersuchen, die das Medium Videospiel bereitstellt. Dazu gehören u.a. Feedbacksysteme oder auch Bewertungssysteme, die anderen Medien, die über keine Prozeduraltiät verfügen. Wenn wir bei dem Suchtbegriff bleiben wollen möchte ich nocheinmal klarstellen: Es gibt Menschen die bspw. beim Konsumieren von Serien ein stärkeres Suchtverhalten aufweisen als beim Konsum von Videospielen. Dennoch möchte ich bei meiner These bleiben, dass Interaktivität (nicht nur in Computerspielen) ein stärkeres Potential an Involvierung besitzt als Filme oder Serien.

    1. Ich muss noch einmal auf mein voriges Argument verweisen, da Teile deines Arguments durchaus diese Methodenproblematik berühren. Überdies hab ich zuvor keineswegs behauptet, deine Aussage sei es, dass Videospiele sofort Sucht erzeugen- dies wäre eine Fehlwiedergabe – sondern bloß die Frage in den Raum gestellt habe, warum Interaktivität für dich inhärent einen höheres Suchtpotenzial generiert?
      Gleiches trifft auf deine These – die natürlich momentan eine These ist – zu, denn du argumentierst zwar, dass mit qualitativen Methoden das Potenzial für Sucht vermittels Interaktivität – der Begriff Prozeduralität ist an dieser Stelle etwas diffus – nachweisbar wären, dem stimme ich ebenfalls zu. Allerdings stellst du gleichsam mit deiner These die Behauptung auf, sie dieses Suchtpotenzial sei inhärent größer als bei anderen Medien, was qualitativ schlichtweg schwer bis gar nicht nachweisbar ist.
      Du musst mir einen Beleg für diese Behauptung liefern und selbst bei einem Argument von Wirkungszusammenhängen aus der Psychologie bedarf es einer entsprechenden Grundgesamtheit, um letztlich repräsentativ zu sein. Außerdem könnten wir hier über einen rezeptionsästhetischen Zugang zu verschiedenen Medien sprechen, allerdings bedarf es hierzu eines genauen Blicks auf die weiteren Variablen, die hier Suchtpotenzial konstituieren und dem überzeugenden Ausschluss dieser.

  3. Gegen Ende habt ihr darüber gesprochen, dass ein Diagnosekriterium den Blick dafür verstellen könnte, dass hinter der Gaming Order andere Probleme stehen und diese das eigentlich Pathologische seien. Dazu möchte ich zu bedenken geben, dass sich zumindest manche psychischen Probleme ungeachtet ihrer Ursache ja durchaus zu einem eigenständigen Problem manifestieren können, das unabhängig von der Ursache weiterbesteht. Soll heißen: wenn man erst einmal eine solche Gaming Disorder hat, würde ich nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass diese verschwindet, sobald sich die Lebenssituation oder die sonstige psychische Verfassung verbessert. Um das zu verdeutlichen hat diese Klassifizierung schon einen Wert.

    Nichtsdestotrotz denke ich tatsächlich, dass da auch Vorurteile und Skepsis gegenüber Spielen dahintersteht. Ich sehe das auch nicht als Whataboutism. Beziehungsweise eigentlich schon, aber ich sehe Whataboutism nicht zwingend als etwas Schlechtes. Whataboutism ist super, um Doppelstandards zu erkennen oder zu fragen, worin zwischen zwei Themen der Unterschied liegt, der den Unterschied macht.

  4. Zwei Anmerkungen:
    Stoffungebunden?
    Bei der Spielsucht gibt es keinen Stoff, der für die Sucht verantwortlich sein soll, wie Nikotin oder Alkohol. Oft wird von Dopamin als Verursacher gesprochen. Das ist ein Neurotransmitter, so ähnlich wie ein Hormon, das der Körper in bestimmten Situationen selbst ausschüttet. Dies geschieht im Übrigen nicht nur beim Gaming, sondern auch beim Küssen, Sport oder Essen. Im Internet gibt es genügend „Gesundheitstipps“ zur Dopaminausschüttung. Aber können wir wirklich nach uns selbst süchtig sein? Macht also Dopamin gesund oder krank? Oder einfach nur glücklich? Kann man nach „Glücklich-sein-wollen“, süchtig werden? Und ist das dann krankhaft?

    1. Ich verstehe deine Anmerkung gerade nicht wirklich. Videospiele sind – sollten wir dies so annehmen – eine nicht-stoffgebundene Sucht, aus genau dem Grund, dass stoffgebundene Süchte durch die Abhängigkeit von einem isolierbaren Wirkstoff oder einer Wirkstoffkombination konstituiert werden. Das führst du an und hast damit definitorisch recht.
      Warum schreibst du dann aber „Stoffungebunden?“ zu Beginn deiner Anmerkung? Ich sehe den Widerspruch noch nicht. Ist wirklich als Verständnisfrage gemeint.

      1. Sie haben recht, das habe ich vllt wirklich etwas missverständlich formuliert. Meine Frage ist: Wonach genau ist man süchtig, wenn man Gaming- oder spielsüchtig ist? Kann man nach einem Gefühl süchtig sein? Was bedeutet das konkret für eine Behandlung? Kann man die selben Behandlungsmethoden anwenden, wie bei den stoffgebundenen Süchten. Also Nikotinsucht – Verzicht – Heilung? Ist Spieldauer genau das selbe wie die Menge an Zigaretten, die man raucht? Sind das Kriterien, die man vergleichen kann? Also lange Spieldauer – Verzicht – Heilung? Wenn langes Spielen nur ein Symptom ist, dann wird dem Menschen durch die Diagnose „Spielsucht“ überhaupt nicht geholfen. Er wird sich nur etwas abgewöhnen. Dafür weiter suchen und sich etwas anderes angewöhnen. Was tun wir dann damit diesen Menschen an?

        1. Für die Konstruktion einer nicht-stoffgebundenen Sucht gibt es viele Beispiele, wie Kaufsucht oder auch was – meist eher diffus – als Sexsucht bezeichnet wird.
          Es handelt sich dabei um Verhaltenszwänge, welchen ein tatsächlicher Schaden für die individuelle Person nachzuweisen ist. Dieser ist natürlich nicht eins zu eins von stoffgebundenen Süchten zu übernehmen und erfordert stets eine Einbindung in den sozialen Kontext. Natürlich bestimmt eine Vielzahl an Konstituenten, wann eine ein hohes Maß an monetären Aufwendungen als Suchtverhalten einzustufen wäre, darunter das Einkommen, die Sozialisation mit Besitz, das soziale Umfeld, die eigene Identifikation zum Vertrauen Umraum (Stichwort „Sich selbst neu erfinden“).
          Selbstverständlich ist das Diagnoseinstrumentarium noch nicht derart differenziert, wie es beispielsweise für andere nicht-stoffgebundene Süchte ist, allerdings sehe ich durchaus den Wert, diese Position für den Diskurs stärker sichtbar zu machen.
          Sollte nun innerhalb der psychologischen und medizinisch fachlichen (vereinfacht) Diskurse eine stärkere Auseinandersetzung mit der Frage nach medial generierten Süchten, ihrer Wirkungsgmechaniken und nachhaltigen Lösungskonzepten herbeigeführt werden, kann dies gesellschaftlich eigentlich bloß begrüßt werden.
          Es hilft eben wenig, wenn Positionen am Rand der diskursiven Strömungen verharren.
          Natürlich bin ich selbst weder Psychologe noch Mediziner, lasse mich also gern bei fehlender Trennschärfe oder Präzision der verwendeten Termini oder methodischen Zugriffen korrigieren. Ist eben eine andere theoretische Ausrichtung und dadurch überaus sinnvoll für eine gesunde Diskussion.

          1. Bei dem Thema Sucht = Krankheit stört mich auch, dass z. B. eine Krankheit immer einen Erreger hat. Ein fremder Virus oder ein Bakterium von Außen lässt mich krank werden. Bei der stoffgebundenen Sucht kann ich es noch einleuchtend finden, da dieser Stoff den Konsumenten auf die Dauer auch krank macht (Organe werden beschädigt etc.). Aber besonders bei der „Verhaltenstörung“ wird das für mich zu schwammig. Das Verhalten des Menschen führt sehr schnell auf die Ebene der Bedürfnisse. Besonders im Bereich der sozialen Bedürfnisse finde ich, dass es nicht ausreicht zu sagen: „Der Mensch ist krank im Kopf.“ Hoher Computerspielekonsum, wie Medienkonsum generell, kann meiner Meinung nach eine Bedürfnisbefriedigung nach sozialer Interaktion darstellen oder als eine Reaktion auf Stress erfolgen. Beim Essen läuft der Fernseher, damit es nicht so leise ist. Man zockt stundenlang, um sich mit den Gedanken vom stressigen Themen abzulenken. Oder um überhaupt eine soziale Interaktion zu haben, wie der LKW-Fahrer der sich einsam fühlt. (https://www.spieletipps.de/artikel/8199/1/) Ist es denn gesund, dass ein Mensch so lange allein in einem kleinen Raum sitzt?
            Ich weiß, dass man dann schnell in der Systemkritik landet. Ein Schulsystem, das unfair aufgebaut ist (soziale Herkunft entscheidet immer noch über die Chancen), bei dem man undurchsichtige Aufstiegschancen hat (oft lernt man sehr viel Stoff völlig umsonst auswendig), auf dem Prinzip der Fließbandarbeit beruht (egal für was man sich interessiert, der Stoff ist vorgegeben) und davon lebt, dass es Verlierer geben muss (es können ja nicht alle studieren) – im Vergleich dazu ist WOW das Paradies. Es gibt klare Regeln. Wenn ich genau das tue was erwartet wird, erhalte ich genau das was mir versprochen wird. Alle werden gleich behandelt. Ich kann nicht aufgrund meines Erscheinungsbildes benachteiligt werden bzw. ich bestimme es selbst. Wenn ich mich reinhänge, habe ich die Garantie auf mehr Erfolg und ständig wird man belohnt. Eine Strafe gibt mir sofort die Möglichkeit es noch einmal zu versuchen, wenn nötig bis ich es gelernt habe. Und was ich werden will, das bestimme ich selbst und kann es auch werden. Dann ist man bei der Gamification. Wenn ich schon in einem System leben muss, dann wähle ich doch das, worin ich gewinnen kann und mich besser fühle. Mein Verhalten passt sich also an.
            Ich weiß, dass diese Argumentation sicher kritisiert werden kann. Ich will nicht, dass diese Argumentationskette leichtfertig missbraucht wird für: ich will mich im Leben nicht anstrengen müssen, um etwas zu erreichen. Oder: das System ist an allem Schuld etc. Dem will ich sofort widersprechen.
            Ich will damit nur sagen: Könnte es sein, dass übermäßiger Medienkonsum, durch einen Mangel an sozialer Interaktion, Erholungszeit oder Selbstbestimmung ausgelöst wird? Was, wenn im Leben der Menschen einige Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigt werden? Wenn wir den Menschen dann die Medien einfach wegnehmen, helfen wir dann wirklich? Sind also wirklich die Medien wie Krankheitserreger zu behandeln? Wozu und warum spielen wir eigentlich?

          2. Ich finde leider keinen Antwort-Button für den letzten deiner Beiträge, also mache ich das so.

            Nun tatsächlich einmal kurz: Wenn wir von Verhaltensstörungen sprechen, geht es ja gerade nicht um die Suche nach einem Erreger – was auch niemand behauptet – da dies nicht mit einer Reaktion des Körpers auf einen bestimmten Wirkstoff – z.B. Nicotin – korreliert wird. Forschungen zu psychischen Erkrankungen beziehen daher – zumeist – soziale Aspekte – Gesellschaft dabei als soziale Makrogruppe – explizit mit ein. Es geht bei der Diagnose einer Sucht nach dem Medium Videospiel also nicht um eine Verbotsdiskussion oder eine generelle Abwertung dessen, sondern vielmehr die Fragen, die tatsächlich auch dich umzutreiben scheinen. Videospiele als Medium können – nicht müssen – eine Konstituente zur Schädigung auf einer – zum Teil rein körperlichen – Ebene sein, welches durch Suchtverhalten perpetuiert wird.
            Deshalb wiederhole ich noch einmal, dass zu einem fruchtbaren Diskurs über mediale Wirkungsmechanismen und Folgewirkungen nun einmal auch Potenziale zur Schädigung – darunter Sucht diskutiert werden müssen.
            Allerdings sind die Frage, welche du nun deinerseits wiederholst – speziell im akademischen Diskursen – gesetzt. Nicht für jedes Argument, weil andere theoretisch und letztlich methodische Konfigurationen erfolgen.
            Allerdings wäre es auch überaus redundant, stets bloß die gleichen Argumente und Thesen zu erproben.
            Überdies hinkt das Argument, Spiele sein per se eskapistisch angelegt und bildeten eine utopisch-regelbasierte Anderswelt, da viele der angesprochenen Aspekte in Videospielen bloß die realweltlichen Zustände re-iterieren. Speziell das erlernen von Regelsysteme zu einer effektiven Steigerung des eigenen Gewinns ist eine höchst kapitalistische Praxis. Dieser kann nun wiederum diskursanalystisch als hegemonial verargumentiert werden, sodass er bereits bei der Regel- und Regimegenese einwirkt.
            Dies ist kein Angriff auf dich als Person, allerdings sind deine Punkte ohnehin innerhalb der entsprechenden Diskurse relevant.

  5. Gesellschaftliche Akzeptanz?
    Jemand der lange scheinbar allein vor einem Rechner sitzt, wirkt für viele Menschen verstörend. Jemand der sich entscheidet, allein in der Wildnis zu leben, 80h in der Woche zu arbeiten, auf ein Rockkonzert zu gehen, 5 Hunde zu halten, einen Ironman-Langdistanz-Triathlon mitzumachen oder mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen, der ist zumindest nicht krank. Stimmt das, oder ist das eben nur gesellschaftlich akzeptierter?
    Wenn ein erwachsener Mensch sich dazu entschließen sollte, sein Leben so einzurichten, dass er die meiste Zeit seines Lebens in bzw. mit einem Spiel verbringen möchte, haben wir als Gesellschaft dann das Recht ihm zu unterstellen, dass er krank ist? Oder ist sein Leben dann einfach nur extrem? Haben wir Angst davor, dass es viele Menschen geben könnte, die sich für ein Gaming-Leben entscheiden könnten und wäre damit die Gesellschaft, wie wir sie kennen, in Gefahr? Wie viele Stunden spielen E-Sportler am Tag? Wird es plötzlich gesellschaftlich akzeptierter, wenn man Geld damit verdient? Ist ein Fußballspieler nicht auch ein Gamer? Und was ist dieser bereit für sein Leben als Fußballprofi zu opfern? Nicht sogar seine Gesundheit?
    Ist es der freie Wille eines Menschen, der ihn dazu bringt weiter zu spielen oder ein Mechanismus in dem Spiel? Ist es der freie Wille eines Menschen sich einen Fallschirm umzubinden und aus einem Flugzeug zu springen, oder eine mögliche Reaktion auf seine Lebensumstände oder seine Biografie?

    1. Ich werde mir hier einen zu langen Kommentar verkneifen und bloß feststellen, dass wir an einem theoretischen Konflikt angelangt sind. Ich beispielsweise würde das Konzept gesellschaftlicher Akzeptanz zur Genese von Normen als kollektive, intersubjektive geteilte Erwartungen angemessenen Verhaltens (in einer Gesellschaft) als fruchtbare Diskussionsgrundlage ansehen. Bedeutet wir – das diffuse Wir – konstruieren als Gesellschaft Normen, Sagbarkeitsregime, etc. für die jeweiligen Diskurse und das bedeutet, gewisse Verhaltensweisen sind gesellschaftlich weniger akzeptiert als andere, zum Beispiel seine gesamte Zeit in einem Videospiel aufzuwenden als klar negativ konnotiert.
      Dies geschieht jedoch stets zu einem historischen Punkt und kann somit jederzeit durch sozialen Konsens über die Neukonstruktion – Gesellschaft dabei als soziales Makrosystem – verändert werden. Das bedeutet, dass gewisse Verhaltensweisen als gesellschaftlich inakzeptabel markiert sind, weil dies nunmal dem sozialen Konsens entspricht, dass ist nicht unbedingt schön – im Sinne von vertretbar – aber erst einmal vorhanden. Deshalb braucht es – nach dieser Traditionslinie – auch unbedingt gesunde, funktionierende – nicht funktionale – Diskurse.
      Entgegen dem, kann selbstredend auch von einer institutionalistischen oder liberalistischen oder einer anderen theoretischen Schule aus diskutiert werden, worin dann der Begriff gesellschaftlicher Akzeptanz anders konzipiert und vielleicht eher randständig behandelt wäre. Dann diskutieren wir allerdings abstrakt und akademisch über theoretische Konzepte zur Genese von Argumenten. Es ist die Frage, ob damit der Fokus angemessen gesetzt ist.
      Legitim ist beides. Jetzt war der Kommentar doch wieder länger als gedacht.

      1. Danke für deine vielen Antworten und Gedanken zu meinen Beiträgen. Eigentlich hoffe ich nur, dass keiner unter einer vorschnell gestellten Diagnose leiden muss. Ich finde, wir dürfen es uns nicht so einfach machen. Hoffentlich bleibt die Wissenschaft an diesen Forschungsthemen dran.

  6. Festgehalten:
    Wenn Menschen leiden, die nicht leiden wollen, dann ist das schlecht, und man sollte auch in unserem Gesundheitswesen alles dafür tun, um diesen Menschen zu helfen. Dennoch sind mir im Bereich Spielsucht und Gaming zu viele Fragen ungeklärt, um die Entscheidung der WHO und die sehr interpretationsfreudige Formulierung der Krankheitskriterien einfach so zu akzeptieren.
    Eure Strohi

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