Der Verwalter fordert deinen Wohnungsschlüssel zurück, weil du noch immer blank bist und schon wieder nicht die Miete bezahlt hast. Was würdest du tun?
Das Leben eines Freundes kann nur gerettet werden, wenn du das Leben eines Fremden gefährdest. Was würdest du tun?
Die Liebe deines Lebens tritt vor den Traualtar – ohne dich, weil alles, was du hattest, zerbrochen ist. Was würdest du tun?
Als ich Always Sometimes Monsters via Steam auf meinem PC installierte, hatte ich keine Ahnung, dass dies grundlegende Problemstellungen sind, mit denen ich mich in den folgenden Stunden zu beschäftigen hatte. Meine Ansichten über ein Indie-PC-Rollenspiel, das im 16-Bit-Retro-Gewand moderner daherkommt als mancher Top-Notch-Titel.
Von den unzähligen Arten Rollenspiele zu spielen überwiegen die, in denen man sich durch Heerscharen von gegnerischen Monstern hacken, brutzeln und schießen muss, um sich hinterher das vom Softwarestudio definierte Prädikat „Held“ ans Revers stecken zu dürfen. Dann aber gibt es solche, die wie Always Sometimes Monsters diese althergebrachten Muster aufbrechen, die Jagd nach der Attributsteigerung vermeiden und auf einen neuen und überaus menschlich geprägten Gegner setzen: Das eigene Selbst. Und damit gerät die Frage nach der Definition des „Helden“ mächtig ins Wanken.
Es ist kein Geheimnis, dass Videospiele mittels verschiedenster Involvierungsstrategien versuchen, Spielende an sich zu binden. Gerade Rollenspiele erlauben uns, unsere Avatare auszugestalten, zu entwickeln und sie – im stark vereinfachten Sinn – als mediale Extensionen unserer selbst zu erleben: wir übertragen unsere Präferenzen wie auch unsere Abneigungen in die virtuelle Spielwelt. In den bekannteren Beispielen geschieht das zum Beispiel durch Auswahl von specs und percs (Spezialisierungen und Nebentalente) sowie über die Varianz von Attributen wie Ausdauer und Kraft. Diese Möglichkeiten von Individualität des eigenen Avatars bringen uns zumeist zum Ziel des Spiels: Als Held erspielen wir uns die Rettung der Welt oder das (Happy) End.
Vom Publisher Devolver Digital hatte ich schon einmal im Zusammenhang mit der letzten Auflage von Duke Nukem 3D: Megaton und dem dritten Teil des Arcade-Geballers Serious Sam gehört, das Entwicklerstudio Vagabond Dog aus Toronto war für mich allerdings ein unbeschriebenes Blatt. Ich erwartete daher aufgrund erster Screenshots und Spielbeschreibungen eher ein klassisches RPG mit Anleihen der ersten beiden GTA-Teile bei Darstellung in 2D-Draufsicht: Waffen sammeln, Gegner erledigen, eine klassische Action-Romanze.
Während die dem RPG-Maker entstammende Grafik mit seiner Vogelperspektive im Fenstermodus (oder wahlweise im doppelt skalierten Fenster oder Vollbild) klischeehaft-nostalgisch an diverse Spielekonsolen-Klassiker erinnert, dudelt im Hintergrund der nach einer Weile recht repetitivem (und nicht zum Verstummen zu bringenden) Soundtrack vor sich hin. Was im ersten Moment hingegen positiv auffällt, ist die entschlackte Steuerung: Pfeiltasten, Enter und Escape sind die einzigen Tasten, die Figur und Eingaben steuern.
Bereits bei der Wahl der Spielfigur und ihrem Geschlecht darf das sonst in Spielen oft so zwanghaft auferlegte Konzept der heterosexuellen Beziehung getrost über Bord geworfen werden: Das Spiel erlaubt problemlos die Wahl eines gleichgeschlechtlichen Partners und arbeitet auch dies in den späteren Spielverlauf mit ein.
Doch Geschlecht und sexuelle Orientierung der zu spielenden Figur sind auch die einzigen Dinge, die man zum Spielstart wählt. Weder Fähig- noch Fertigkeiten, Ausrüstung oder sonst etwas wird mir an die Hand gegeben. Dafür werde ich sofort mit dem konfrontiert, was den Kern des gesamten Spiels ausmacht: Einer drängenden Frage, die ich zu beantworten habe.
Im Verlauf des Abenteuers bleibt es nicht bei dieser einen, sondern ich steuere meine Figur von einem Konflikt in den nächsten und muss mittels Entscheidungen die an manchen Stellen ein wenig mager wirkende Story vorantreiben – oder in eine andere Richtung lenken. Mit jeder Entscheidung wird das gewohnte Konzept der heldenhaften Videospiel-Figur mehr dekonstruiert. Ich beginne mit einer Byron’schen Heldenfigur, die in ihrer Verzweiflung und auf der Suche nach Erfüllung der eigenen Wünsche sich selbst über alles andere auf der Welt stellt. Ob sie als pathetischer Antiheld, als tragischer Held oder irgendetwas dazwischen endet, bestimmen allein die Entscheidungen im Spiel.
Es grenzt fast an Zynismus, angesichts der verhandelten und mitunter anstrengenden Thematiken von Spielspaß zu sprechen, doch Always Sometimes Monsters schafft es, mich in seinen Bann zu schlagen. Trotz der gelegentlich fast ermüdend langen, die Story vorantreibenden Textpassagen will man am Ball bleiben und wissen, welche Wendungen das virtuelle Schicksal bereithalten mag.
Always Sometimes Monsters glänzt in meinen Augen entsprechend mit einem für viele günstige Indie-Games untypischen Wiederspielbarkeitsfaktor: Man möchte erfahren, was gerade andere Entscheidungen an Wendepunkten des Spiels geändert hätten; ob man mit manchen Entscheidungen dem Spiel sogar ganz neue Wendepunkte hätte hinzufügen können. Und ich selbst bin neugierig auf Antworten. Antworten auf die Frage, was passieren mag, wenn ich meinen Avatar fernab von Attributen und Ausrüstungsgegenständen als meine Personifizierung in der Spielwelt betrachte, tief in mich hineinhorche und so wähle, wie ich wählen würde.
Was würde ich tun?