1992 erschien Mario Paint für den Super Nintendo. Zwei Modi sollten im kollektiven Gedächtnis der Retro Gaming Szene bleiben. Zum einen das namensgebende Malprogramm, zum anderen die Fähigkeit, eigene kurze Lieder zu komponieren (was sich übrigens konstanter Beliebtheit auf Youtube erfreut). Die größte Besonderheit aber war die Art der Bedienung, denn das Spiel wurde mit einer Maus geliefert. Damit wurde eine Form der Kontrolle möglich, die über die acht Richtungen des Steuerkreuzes hinausging. Was hat dieses 26 Jahre alte Beispiel nun mit dem erschienenen Nintendo Labo tun?
Dieser Beitrag wurde von unserem Gastautor Vadim Wuckert geschrieben. Die Autoreninformation befindet sich am Ende des Artikels.
Die Kurzform wäre, dass Nintendo Wert darauf legt, bei der Hardware lieber neue Wege zu gehen, als es anderen gleichzutun und nichts zu entwickeln oder bestehende Technik einfach mit aktuellerem Interieur auszustatten. Letzteres ist nicht verwerflich, führt aber oft dazu, das sich Menschen nach neuen Formen der videospielerischen Unterhaltung sehnen. Die Switch war nicht ohne Grund so schnell vergriffen, obwohl ihre Leistung als Hybridkonsole hinter der, der stationären Konkurrenten, zurückblieb. Gleiches galt auch für die Spiele, so z.B. Breath of the Wild (2017), das sich schon zum Release als zeitloser Klassiker etabliert hatte.
Aufgrund solcher Entwicklungen kann ich mich also guten Gewissens auf die Titel freuen, welche unter Nintendos Leitung entstehen. Die andere Seite der Medaille ist natürlich, dass ich auch entsprechend hohe Erwartungen habe und schnell zu enttäuschen bin.
Labo ist einer dieser Titel, die solche Erwartungen wecken. Das fing schon beim ersten Trailer an, der mir zeigen wollte, wie gewöhnliche Pappe in Kombination mit der Switch auf eine völlig neue Ebene des Entertainments führen könne. Im Zusammenhang mit Videospielen kannte ich das Material bisher eigentlich nur als Aufsteller im Fachhandel, oder als mobiles Versteck für die Protagonisten der Metal Gear Solid Reihe. Als dann noch ein Editor namens Labo Garage (hierzulande die Werkstatt), angekündigt wurde, beschloss ich diese Entwicklung genauer zu verfolgen. Schließlich versprachen Nintendos Editoren, wie in der Einleitung erwähnt, immer einen interessanten Zeitvertreib. Vorbilder dafür gab es ja bereits zur Genüge, bringen doch viele große Titel wie die neuen Far Cry oder Elder Scrolls Spiele ihre eigenen Tools mit, um neue Welten und Inhalte zu erstellen. Nintendo strotzt diesbezüglich geradezu vor Möglichkeiten, denn viele Mario Titel, wie Super Mario 3D World (2013) oder auch die düsenlosen Herausforderungen aus Super Mario Sunshine (2002), erwecken den Eindruck als hätte man sie aus einem Baukasten zusammengesetzt.
Als ich den Titel dann anspielen konnte, war mein erster Eindruck zwar immer noch erwartungsvoll, aber auch leicht ernüchternd. Ich hatte eine Werkstatt mit Dutzenden von Optionen erwartet, doch stattdessen bekam ich eine so sterile Arbeitsumgebung, dass ich darin auch eine Operation hätte durchführen können. Nichtsdestotrotz habe ich mich davon nicht abschrecken lassen und gemäß der Prämisse „Die haben das nicht ohne Grund so implementiert“ direkt ans Werk gemacht. Hinter jedem großen Spiel steht schließlich auch trockener Text und selbst die bunteste Sandbox zieht ihre Kraft letztenendes aus dem ihr zugrundeliegenden Code. Die Sandbox hier suchte ich erst einmal vergeblich, doch darauf komme ich später erneut zurück.
Ein Blick auf das Interface verrät sofort, dass Einfachheit hier das Maß der Dinge ist. Ein Raster im Hintergrund bietet Orientierung und Grautöne dominieren das Bild. Die Interaktion erfolgt über sogenannte Knoten, kleine Quadrate mit festen Funktionen wie „wenn A gedrückt wird“ und „Leuchten“. Ihre Ein- und Ausgängen sind in Rot und Blau gehalten, und dienen der Kommunikation mit anderen Knoten. Ein ausgewähltes Element leuchtet in Limonengrün und lässt sich nach Belieben drehen und skalieren, was jedoch auch der Übersichtlichkeit schaden kann.
Viele der Knoten lassen sich auch editieren, sodass sich zum Beispiel ein abgespielter Ton in Höhe und verwendetem Instrument variieren lässt. Das Menü ist zweckmäßig, der Abspielknopf blendet die Werkstatt aus und lässt Leuchtknoten bei ihrer Aktivierung auf dem schwarzen Untergrund etwas deutlicher leuchten als im Editor. Eine Funktion, die auf mich den Eindruck macht, dass sie ausschließlich für den stationären Einsatz gedacht ist.
Die Unterteilung der Knoten erfolgt in drei Kategorien:
1.) Der Input in die Werkstatt, also Neigung, Controllereingaben, wahrgenommenes Licht, usw.
2.) Mittlere Knoten, die den Output beeinflussen für fortgeschrittene Basteleien (dazu gleich mehr)
3.) Output über die Lautsprecher und den Bildschirm der Switch sowie über die Joy-Cons
Auffällig ist, dass es weit mehr Optionen des Inputs als des Outputs gibt und dies ist als Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, das Hauptaugenmerk von der Konsole weg, hin auf das Spielen mit den gegebenen oder selbstgebauten Toy-Cons zu lenken.
Eine praktische Anwendung wäre beispielsweise folgende: Ich möchte den Joy-Con auf die Seite drehen und auf dem Bildschirm soll die entsprechende Richtung angezeigt werden. Ich nehme jetzt einen Knoten für „nach links kippen“ für den linken Joy-Con und verbinde ihn mit ein paar „leuchten“ Knoten die ein L formen. Selbiges wiederhole ich nun für die rechte Seite und den rechten Joy-Con.
Das ist als Spiel natürlich noch völlig ungeeignet, also kann ich es jetzt mit einer eher komplexen Besonderheit von Labo verbessern. Bei den mittleren Knoten warten nämlich die Logikgatter UND sowie NICHT, bzw. AND und NOT. Kombiniert man diese erhält man NAND und kann so noch viel komplexere Schaltpläne und auch einfache Programme erstellen.
Verbessern wir das Programm von eben, würde das in etwa wie folgt aussehen: Damit das L leuchtet, reicht es jetzt nicht mehr einfach nur den Joy-Con nach links zu kippen sondern es soll auch gleichzeitig der Stick nach oben gedrückt werden. Ich habe nun den Knoten für „Stick nach oben“ sowie den für „nach links kippen“ und verbinde ihre Ausgänge nun mit dem Eingang des „und“ (AND). Das AND leitet den Befehl nun an das „leuchten“ weiter, vorrausgesetzt das beide Eingaben gleichzeitig getätigt werden. Eine allein ist nicht ausreichen. Auch für den rechten Joy-Con wird das Programm dementsprechend umgebaut. Um ein Zusammenspiel beider Seiten zu zeigen, verbinde ich die beiden Ausgänge mit einem weiteren AND und setze ein „nicht“ (NOT) dahinter. Somit entsteht ein NAND, und dieses schließe ich an eine Reihe von leuchtenden Knoten an die zusammen ein großes AUS buchstabieren.
Das Ergebnis: Sobald das Programm startet, wird ein großes AUS eingeblendet. Wenn ich die Joy-Cons kippe und gleichzeitig die Sticks nach oben drücke, leuchten L und R auf und das AUS verschwindet. Das ist so, weil jetzt zwar eine Information der beiden AND losgeschickt wird und am dritten AND kombiniert wird, aber das NOT sie ins Gegenteil umkehrt. Der Grund weshalb es am Anfang auch geleuchtet hat.
Einzig die Größe der Garage und die Anzahl der Verbindungen, welche ein Knoten haben kann, setzen hier Grenzen. Personen, die bei Minecraft (2009) gerne mit Redstone-Schaltungen gespielt haben, werden sich hier wohlfühlen, aber auch Unerfahrene ohne jegliche Vorkenntnisse, können mit etwas Fachlektüre simple Schaltpläne zusammensetzen. Aber die Frage, die sich damit einhergehend stellt, ist natürlich die Folgende: Was kann ich mit NAND, zwei Joy-Cons und einem gewissen Maß an Kreativität erschaffen?
Die Werkstatt ist jedenfalls nicht dafür geeignet, darin das nächste Breath of the Wild zu erstellen. Auch für Space Invaders (1978) wird es nicht reichen und bereits Pong (1972) wäre eine Herausforderung. Aber dafür ist sie auch gar nicht eingefügt worden. Fernab vom Bildschirm geht es um die reale Interaktion mit der Pappe. Daher rührt wohl auch der Name „Toy-Con“-Garage und deswegen gibt es auch so viele Möglichkeiten, eine Joy-Con Interaktion zu wählen. Wie hätte ein zweites Wario Ware DIY (2009) funktioniert, wenn die Spielenden alle fünf Sekunden die selbstgeschmiedeten Kartonkonstrukte wechseln müssten? Oder ein neues Super Mario Maker (2015), welches mit dem Gamepad des SNES doch soviel besser funktionieren würde, als mit der Angel?
Nein, ich denke es ging Nintendo wirklich nur um eine neue Art und Weise das Spielen zu erfahren. Zu improvisieren und sich Gedanken zu machen, was gefällt und wieso. Und beim Schreiben dieses Artikels fiel mir dann plötzlich auf: Die Realität könnte doch die Sandbox sein. Ich hatte nie versucht, etwas aus Pappe zu bauen und konnte demnach auch kein entsprechendes Programm zusammensetzen. Aber war das überhaupt nötig? Letzlich ist es ja theoretisch möglich (und notwendig), absolut jede mögliche Konstruktion auch erst einmal in der Garage zu konzipieren. Da sich die Argumentation hier jedoch ins Philosophische bewegen würde, gehe ich jetzt auf den Punkt ein, von dem ich weiß, dass die Garage ihn mir garantiert liefert.
Verbesserung. Ein funktionierendes System zu optimieren, falls denn die notwendigen Werkzeuge gegeben sind. Eine Anpassung an die eigenen Bedürfnisse vorzunehmen.
Als ich beispielsweise das erste Mal die Klavier-Funktion verwendet habe, fiel mir auf, wie ineffektiv sie für mich war. Die Aufnahmefunktion war sehr wählerisch, die Möglichkeit, den Takt anzugeben, sehr eigensinnig. Als Spiel ganz gut gemacht, aber verbesserungsfähig. Hier kommt die Werkstatt zum Einsatz, denn mit dieser sollte es möglich sein, ein realitätsnäheres Klavier zu erschaffen, das ohne jegliche Extras nur den Zweck hat, Musik darauf spielen zu können.
Benötigt werden natürlich mehr Tasten als die gegebenen 13. Vier Oktaven sollten es sein, sind aber vom Platz her nicht realisierbar, denn der Infrarot-Scanner im rechten Joy-Con kann einen so breiten Bereich nicht abtasten. Zudem muss jede Taste mit einem Sticker versehen werden, der das auf ihn projizierte Licht an den Scanner zurückwirft und wenn diese zu weit auseinander liegen, sind die äußersten Tasten wahrscheinlich nutzlos. Zuerst sollte also ein Scanner-Knoten aus dem Input platziert und möglichst stark vergrößert werden, um zu testen, welcher Bereich überhaupt in seiner Reichweite liegt. Innerhalb von diesem können nun die vier Oktaven in vier geraden Reihen übereinander angeordnet werden. Die benötigte Konstruktion aus Pappe stelle ich mir dreieckig vor. Gesteuert über Schnüre, Hebel, Gummibänder und natürlich den 48 reflektierenden Aufklebern in der Mitte. Jeder dieser Aufkleber erhält nun einen Fadenkreuz-Knoten. Dieser reagiert, wenn der unter ihm liegende Knoten eine Veränderung zeigt, wie z.B. hier das Scannen eines Stickers. Der Fadenkreuz-Knoten wird nun mit einem Ausgangsknoten verbunden, der einen Ton in entsprechender Höhe abspielt, idealerweise auch als Klavier und nicht als Gitarre oder Flöte. Dieser Vorgang wird nun wiederholt, bis alle 48 Tasten bei Aktivierung einen Ton von sich geben. Das Klavier ist nun fertig und könnte je nach Talent der Konstruierenden sogar noch verbessert werden.
Berücksichtigen wir überdies das enorme Potential, das der Scanner in Kombination mit dem Fadenkreuz hat, tut sich so eine große Bandbreite von Möglichkeiten auf, neue Instrumente zu erschaffen, denn auch musikalische Trommeln oder gar Laserpointer basierte Musik, an einer Wand mit aufgemalter Klaviatur, wäre so möglich.
Die Werkstatt ist für mich ein nettes Gimmick mit einer schwankenden Motivationskurve. Für Personen mit gewissen Programmierkenntnissen ist sie zu stark eingeschränkt und diejenigen, die gerade damit Anfangen, werden irgendwann einen Punkt erreichen, an dem auch sie das Gefühl haben, dass sie doch gerne etwas mehr tun könnten, als es ihnen das Programm erlaubt. Dann werden sie entweder aufhören, oder aber versuchen, sich höhere Ziele zu stecken. Basteln, Spielen und Entdecken sind ja nicht nur auf das Nintendo Labo: Multi Set beschränkt. Es ist vielmehr ein Prozess von Erschaffen, Anwenden und Lernen, ein Kreislauf, der auch für so ziemlich jede andere Tätigkeit steht, die geistige Involvierung fordert. Die Werkstatt ist wie Labo noch ganz am Anfang, aber ich sehe das Potential in ihr, die Spielenden ihr eigenes Potential erkennen zu lassen.
Zum Autoren des Artikels:
Vadim Wuckert studiert in seiner Freizeit Medienwissenschaft im B.A. an der Uni Marburg, um im weiteren Verlauf seiner Karriere mal als Drehbuchschreiber und Regisseur in der Spieleentwicklung tätig zu werden. Hauptberuflich erweitert er seine DVD-Sammlung und spielt Games, mit viel Politik, Philosophie und Meta.