- Ein Roboter darf kein menschliches Wesen (wissentlich) verletzen oder durch Untätigkeit (wissentlich) zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.
- Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.
- Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.
Diese Robotergesetze stellte der russisch-amerikanische Biochemiker, Sachbuchautor und Science-Fiction-Schriftsteller Isaac Asimov bereits in seinem Roman Ich, Ein Roboter (1950) auf. Sind dementsprechend etwaige Roboter oder Androiden in diesem Regelkonstrukt verhaftet, sichert die Befolgung dessen eine friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Maschine. Androiden sind somit nichts als Werkzeuge zur Verwirklichung menschlicher Ziele. Doch was wäre, wenn die dienenden Maschinen nicht mit ihrer Bestimmung einverstanden wären? Was, wenn sie ein Bewusstsein entwickelten und sich der Sklaverei nicht länger fügen wollten? Genau um diese Frage geht es in Detroit: Become Human, welches als jüngste Produktion von Quantic Dream am 25. Mai 2018 für die PS4 erschien.
Für ein authentisches Sci-Fi-Szenario scheint das Jahr 2038 in erstaunlich greifbarer Nähe. Wie für dystopische Erzählungen üblich, nutzt Detroit dabei die nahe Zukunft als Extrapolation kontemporärer Entwicklungen. Nachdem Androiden mit einem hinreichend anthropomorphen Erscheinungsbild zu erschwinglichen Gütern wurden, hat sich die Welt – zumindest in den USA, Russland und China – signifikant verändert. Zwischen selbstfahrenden Autos und allumfänglicher Überwachungstechnologie sind es die Androiden, die nunmehr repetitive Arbeit erledigen. Sie fungieren als Haushälter_innen, Fabrikarbeiter_innen und – nicht zuletzt – als Sexobjekte. Die Fiktion von Detroit fügt sich authentisch zusammen und darf, im Vergleich zu vorherigen Quantic Dream-Titeln, mit weniger Zeitdruck erlebwerden.
Inmitten der schwelenden Konflikte beginnt die multiperspektivische Erzählung der drei Protagonisten von Detroit. Markus, ein ehemaliger Pflegeroboter, fungiert mit seinem Freiheitskampf für die Androiden als archetypische Heldenfigur, während Connor – ein hochtechnologisierter Prototyp für die Unterstützung polizeilicher Sonderermittelungen – mit der Verfolgung devianter Androiden betraut ist. Mit Kara, die bereits aus der gleichnamigen Tech-Demo aus dem Jahr 2012 der Game Developer Conference hinlänglich bekannt ist, fokussiert die Erzählung den Mikrokosmos eines Androiden auf der Flucht; mitsamt all der erwartbaren Emphase des emotionalen . Dabei finden sich hier zahlreiche Parallelen zu vorherigen Titeln des Studios; so etwa die Spannung, Räuber und Gendarm zugleich zu sein.
Jenseits der eindrucksvoll orchestrierten Action-Sequenzen liegt das Hauptaugenmerk auf den Beziehungen der Hauptfiguren zu ihren Begleitern. Insbesondere Connor sticht dabei heraus, der als kühl kalkulierender Android auf den abgehalfterten Lieutenant Hank Anderson trifft. Mit diesem, Androiden grundsätzlich verachtenden Noir-Ermittler, ergeben sich – abhängig von den Entscheidungen der Spielenden – einige der wenigen humoristischen Momente, welche den melancholischen Grundton der Erzählung gerade da auflockern, wo es am wenigsten zu erwarten ist.
Im Zentrum aller Handlungsverläufe steht aber die Frage nach der Essenz des Menschen und nach der Existenz des Bewusstseins. Detroit stellt diese Frage unablässig – nicht im Gestus der theoretischen Philosophie, sondern anhand der Notwendigkeit von Handlungsentscheidungen. Von kleinen, fast beiläufig getroffenen Entscheidungen wie etwa die Auswahl verschiedener Dialogoptionen bis hin zu der Gestaltung einer politischen Revolte, trägt Detroit die Spieler_innen eine beträchtliche narrative Verantwortung zu. Sollen die domentrierenden Androiden in Anbetracht der polizeilichen Gewalt nachgeben oder standhalten? Soll ein Android, der einen Menschen aus Notwehr tötete, bestraft werden? Ist es akzeptabel einen Ladenbesitzer zu bestehlen, um eine sichere Unterkunft für die Nacht zu finden? – Anhand dieser und einer Vielzahl weiterer Entscheidungsprobleme verzweigt sich die Erzählung von Detroit in eine eindrucksvolle Pluralität, die den Spieler_innen jeweils am Ende eines Kapitels per Flussdiagramm vor Augen geführt wird.
Die Personalisierung der Erzählung gelingt Detroit durch die Berücksichtigung verschiedener Faktoren. Die öffentliche Meinung gegenüber den Androiden ist einer dieser Faktoren: Die sozialen Beziehungen alternieren zwischen Verachtung und Liebesbeziehung. Dank kurzfristiger wie langfristiger, vorhersehbarer wie unvorhersehbarer Konsequenzen stellt ein Gefühl sich ein, die Figuren und ihre Geschicke wortwörtlich in der Hand zu haben.
Wie für sämtliche Quantic Dream-Titel üblich, verschwindet das Gameplay, bestehend aus Quick-Time Events, milder Erkundung und Dialog- bzw. Handlungsoptionen, hinter der cineastischen Inszenierung. Dank der dynamischen Kamera, dem exzessiven Gebrauch von Tiefenschärfe und Color-Coding, der visuellen wie auditiven Komposition und der beachtlichen Leistung sowohl der Haupt- als auch der Nebenbesetzung, ergibt sich der Eindruck einer nicht endenden Cut-Scene, die keine ist. Insbesondere im Vergleich zu vorherigen Produktionen des Studios sowie vergleichbaren Titeln etwa von Telltale wird der qualitative Sprung der Arbeit von David Cage deutlich.
Die altbekannten Probleme und Kompromisse eines solchen interaktiven Dramas bleiben freilich bestehen. So wirken die dramatischen Wendungen mitunter forciert. Der Versuch, eine emotionale Reaktion zu evozieren, erscheint zeitweise so verbissen, dass er sich selbst im Wege steht. Auch muss der Realismusanspruch sich der Leistungsfähigkeit der aktuellen Konsolengeneration fügen. Mimische Nuancen gehen auch bei sorgfältigem Motion Capturing verloren; dennoch ist ihre Rekonstruktion überwiegend glaubwürdig.
Wenn auch nicht alle Momente von Detroit zünden, ist doch eines deutlich: Quantic Dream möchte an wichtigen Diskussionen teilhaben. Wo andere große Produktionen sich noch immer hinter dem Label der reinen Unterhaltung zu verstecken versuchen, adressiert Detroit kontemporäre politische Probleme direkt. Der Klimawandel und die Eskalation eines neuen Kalten Krieges sind Themen, die parallel per Zeitschriften und Magazine in-game kommentiert werden. Das Amt des amerikanischen Präsidenten wird von einer Frau bekleidet, deren Weiblichkeit keinen Aufhänger darstellt und die Diversität der Nebenfiguren ist groß. Im Herzen von Detroit flammt eine Rassismusdebatte, die allegorisch auf Androide übertragen wird und von einem separaten Abteil im Bus über tätliche Belästigungen und Sklaverei bis hin zu Holocaust-Anleihen führt. Wenn sich schließlich das Hauptmenü zunehmend selbstständig macht, greifen die diegetischen Konflikte auf die alltägliche Welt der Spieler_innen über.
Detroit behauptet nicht von sich, die Antworten auf Fragen zu haben, die spätestens seit Blade Runner im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft schwelen. Zwar wenig subtil, aber doch hinreichend nuanciert, zielt Detroit weniger auf die Antwort, sondern darauf, die Fragen zu vermitteln und hält so die Spieler_innen dazu an, über ihre eigene Position nachzudenken. So schafft es David Cage Detroit zum bisher stärksten Titel seines Genres zu machen. Und abgesehen von dem Gefühl, gut unterhalten zu werden, hat Detroit in uns tatsächlich eine Erkenntnis entfacht: Wie auch immer das Bewusstsein zustande kommt; wenn ein solches zu beobachten ist, darf es keine Erniedrigung geben.