Mit dem Beginn des neuen Jahres ist Doom, der 2016er Reboot des 1993 erschienenen ersten Teils, bereits über ein halbes Jahr im Handel erhältlich. Es wird also Zeit für eine viel zu späte flegmonische Rezension zwischen digitaler Flanerie und retronostalgischem Pixelcharme. Lasst uns eintauchen in diesen Bottich aus Blut, Gedärmen und dämonischen Einzelteilen.
Wie üblich ist den bereits erschienenen Rezensionen nicht mehr viel hinzuzufügen: Überwiegend positiv von Kritikern und Spielern bewertet, zeigten sich viele überrascht davon, dass das Spiel unerwartet gut ist. Ich hatte den Trailer gesehen und es gegen Ende des vergangenen Jahres günstig bei Steam erworben. Da es – ebenso wie Wolfenstein: The New Order – von Bethesda Softworks veröffentlicht wurde, war ich vor allem daran interessiert, ob sich Doom als ebenso große Fundgrube für Easter Eggs und andere versteckte Kleinigkeiten erweisen würde. Ich stellte es mir deutlich schwieriger vor, da es auf dem Mars bzw. in der Hölle wahrscheinlich keine Bücherregale oder Kunstwerke berühmter niederländischer Maler gibt. Meine Erwartungen waren diesbezüglich also nicht besonders hoch. Überrascht wurde ich trotzdem…
Die erste Überraschung findet sich aber noch in Wolfenstein: The New Order: Als Blazkowicz ins Lager Selo eingeschleust wird, bekommt er die Häftlingsnummer 04151513 auf den Arm tätowiert.
Wer genau aufgepasst hat, erkennt darin die numerische Entsprechung der jeweiligen Buchstaben im Alphabet: 04151513 -> 04 = D / 15 = O / 13 = M. Somit ist an dieser Stelle nicht nur der Verweis auf das zwei Jahre später erscheinende Spiel von Bethesda erfolgt, sondern auch eine Kontextualisierung zu den Zuständen im Arbeitslager (doom = Untergang, Verderben, Todesurteil, etc.).
In Doom finden sich auf dem Mars nicht nur Bücher, sondern auch unzählige Notizzettel und Arbeitsanweisungen. Interessant an den abgebildeten Büchern sind deren Titel, die sich wie ein Sammelsurium an Zutaten und Inspirationen für die Entwicklung des Spiels lesen. Man nehme einen Planeten (Mars), errichte dort eine Infrastruktur (UAC – The complete guide to snap maps), bevölkere diese mit Dämonen (Evil Cabin, möglicherweise ein Hybrid aus The Evil Dead und The Cabin in the Woods) und lasse diese vom Spieler (Watcher) erkunden (Mixom – Explore the Universe).
Einer der lesbaren Notizzettel beschreibt den im Spiel auftauchenden Revenant: „This is a super scary thing. It is identified as something too spooky for me. Why for the love of god does this thing have missile launchers on its shoulders, as if it weren’t enough this thing being the damn boogeyman. If you happen to encounter this abomination either run for life or kill it with fire or maybe some big gun.“ Wer genau hinschaut, erkennt auf diesem Informationszettel noch ein Bild des Pumpkin Dance Memes. Viele Zettel sind jedoch leider nicht lesbar, u.a. auch wegen der „äußeren Umstände“, in denen sie sich befinden – zumeist Blut und/oder Dämonenreste.
Das auf dem Mars erhältliche Angebot an Essen und Getränken erweist sich als Paradies für Freunde von Fast Food, was man sehr deutlich an den dort aufgestellten Automaten erkennen kann. Auch an den Arbeitsplätzen stehen diverse Flaschen und Fertiggerichte. Eines davon trägt den Namen „Dopechan Noodles“ und verweist mit seinem prägnanten Logo auf den „Dopefish“ aus Commander Keen, das ebenso wie Doom von id Software entwickelt wurde.
Ein wenig überraschend in der lebensfeindlichen Umgebung, deren Interieur nach kurzer Zeit mit den Körpersäften ausgeweideter Dämonen gestrichen ist, sind die an den Wänden angebrachten Gerätschaften für lebenserhaltende Maßnahmen. Kurz denke ich darüber nach, wie man einen Dämon mit dem Defibrillator wieder zurück ins Reich der Lebenden Leben holt, um ihn direkt danach mit einem erfolgten „Double Kill“ wieder in die Hölle zu schicken…ach, mit den Formulierungen ist das hier aber auch kompliziert. Das hätte jedenfalls ein interessantes Easter Egg werden können.
Als Symbol des Lebens findet sich dennoch eine Pflanze in einer Glaskugel, die beinahe so aussieht, als wurde sie dort von WALL-E vergessen. Irgendwie passend, da WALL-E der letzte ist, der die Erde aufräumt. Auf dem Mars wird dieser Job vom ewig schweigenden Doomguy erledigt.
Interessant sind auch die diegetischen Angebote an den Avatar: In der Forschungsstation auf dem Mars finden sich natürlich auch formelhafte Niederschriften der dort einst tätigen Wissenschaftler. Avatar und Spieler verschmelzen jedoch beim Versuch, diese zu entziffern, zu einer untrennbaren Einheit. Von einem Mathematik-Studium wurde mir seinerzeit (zu Recht) abgeraten. Wer auf diesen Fotos allerdings die Übungsaufgaben aus dem Tutorium des ersten Semesters erkennt, darf sich gerne in der Kommentarspalte zu Wort melden. Ludisch sind diese sowieso irrelevant und stehen daher mit ihrem zu theorielastigen Ansatz beispielhaft für das Scheitern der Wissenschaft im Umgang mit Gegnern, die nur die praxisnahe Sprache des Egoshooters verstehen.
Andere diegetische Hinweise wie z.B. Verbotsschilder sind aufgrund ihrer einfachen und unterkomplexen Nachricht für Spieler und Avatar zwar leicht verständlich, werden jedoch trotzdem ignoriert. Aus Prinzip.
In der Forschungsstation finden sich aber nicht nur beschriebene Whiteboards, sondern auch unzählige Bildschirme mit vorbeifliegenden Texten, blinkenden Graphen, simulierten Daten und weiterer unnützer Informationen, die den Spieler – sollte er sie denn zu lange betrachten – durch ihre visuelle Nutzlosigkeit beständig daran erinnern, dass es in einem Spiel mit dem Wort Doom im Titel nie eine gute Idee war, zu lange stehenzubleiben und die Umgebung zu betrachten. Speziell auf Bildschirmen, die wahllos unidentifizierbare Balkendiagramme bewegen, zeigt sich der Zusammenprall dieser beiden Welten sehr deutlich.
Dennoch ist die Liebe zum Detail, die in der Visualisierung der unzähligen Interfaces und Kommandozeilen steckt, bemerkenswert. Die Zeile „setq explicit shell filename“ verweist zudem darauf, dass die Forschungsstation auf dem Mars scheinbar die freie Software Emacs verwendet.
Zu gegebener Zeit findet sich auf einem der zahllosen Bildschirme eine Übersicht über die in der Marsbasis durch die Dämoneninvasion erlittenen Verluste. Interessant daran ist die namentliche Auflistung der Opfer bzw. „Besessenen“, denn diese hält bei genauerem Hinsehen eine Überraschung bereit: Alle dort angezeigten Personen waren an der Entwicklung von Doom beteiligt. Das lässt sich leicht nachprüfen, wenn man den entsprechenden Namen mit dem Zusatz „Doom“ in eine Suchmaschine eingibt, so z.B. Brian Kowalczyk (Senior Animator), Felix Leyendecker (Senior Environment Artist) oder Emily Hampshire (Quality Assurance).
Doch nicht nur dort haben sich die beteiligten Personen verewigt, sondern auch in einer Galerie mit Mitarbeiterauszeichnungen. Auch die hier ausgestellten Personen waren in irgendeiner Funktion in die Entwicklung des Spiels involviert. Dies scheint einer neuen Tradition zu folgen, nach der die Spielentwickler sich nicht mit ihrer namentlichen Erwähnung in den Credits zufriedengeben, die – seien wir mal ehrlich – sowieso niemand liest, sondern sich stattdessen direkt als mediale Teilartefakte in der digitalen Welt verewigen, die sie mit erschaffen haben. Diese Praxis folgt nicht nur der seinerzeit von Warren Robinett initiierten medialen Selbstverewigung in Adventure, sondern scheint aufgrund der interaktiven Medialität des digitalen Spiels eine perfekte Möglichkeit zu sein, um das Endprodukt als Leistung eines Kollektivs und nicht nur – wie im Film – als Leistung eines kleinen Kreises (Schauspieler, Regisseur, etc.) zu präsentieren: „Seht her, hier war ich mit dabei! Sogar IM Spiel!“.
Ich nehme übrigens immer noch Tipps und Hinweise entgegen, die mir Aufschluss über die abgebildeten Personen auf den Fotos im Hauptquartier des Widerstands in Wolfenstein: The New Order geben können, da ich hinter den dort abgebildeten Personen eine ähnliche Herangehensweise vermute.
Auch die Kontextualisierung mit Doom von 1993 ist sehr schön gelungen. Das Titelbild findet sich (leicht angepasst) auf einem Pergament im Büro von Dr. Samuel Hayden. Auch im Abspann wird das ikonische Cover entsprechend neu aufbereitet.
Doom zitiert sich aber nicht nur selbst: Während des Spaziergangs auf dem Mars und in der Hölle finden sich außerdem weitere Hinweise auf mediale Inspirationsquellen. Mit Half-Life und Half-Life 2 werden weitere Größen zitiert: Der Energiestrahl im Argent Tower erinnert an das fehlgeschlagene Experiment im Vorspann von Half-Life, und ein weiterer Strahl in Richtung Firmament sieht aus wie die kurz vor der Explosion stehende Zitadelle aus Half-Life 2: Episode 1. Scheinbar dienten aber auch einige Filme als Zitiervorlage: Ein steinernes Wandrelikt könnte auch von H.R. Giger für die Alien-Reihe entworfen worden sein, während zwei Skelette mit ihren verbliebenen Augäpfeln – irgendwie passend – an Mars Attacks! erinnern.
In Wolfenstein: The New Order war es möglich, einen Level des fast 20 Jahre alten Vorgängers zu spielen. Diese Form der Selbstreflexivität ist auch in Doom integriert, wenn auch deutlich sparsamer. In jedem Level kann durch Betätigung eines versteckten Hebels an einem anderen Ort eine Tür geöffnet werden, die einen Blick auf einen Raum im Stil des 1993er-Dooms freigibt. Während dieser Wechsel in Wolfenstein: The New Order durch einen Alptraum der Spielfigur realisiert wurde, kann man sich hier zwischen den beiden Versionen hin- und herbewegen. Dieser harte Schnitt zwischen den beiden grafischen Präsentationen ist beachtlich und verweist nachdrücklich auf die Entwicklungsfortschritte in diesem Zeitraum.
Zu guter Letzt bleibt noch der Hinweis auf die im Spiel bereits entdeckten und offensichtlichen Easter Eggs: Ein Skelett in der Hölle trägt einen Hörnerhelm und hat einen Pfeil im Knie (Dragonborn aus The Elder Scrolls V: Skyrim), auf einem Pfahl befindet sich ein Football-Helm mit der Aufschrift „Doom“ (Billy Blaze aus Commander Keen) und in den Lazarus Labs liegt der Seelenwürfel aus Doom 3. Zudem können zwei Minigames entdeckt werden: Eine Variante von Candy Crush, jedoch mit Figuren aus dem 1993er-Doom, und das fiktive Arcade-Spiel „Super Turbo Turkey Puncher“, bei dem man lediglich Truthähne mit der Faust schlagen muss, bis sie zerplatzen.
Am Ende bleibt noch ein nachdrücklicher Aufruf: Auch unter der Oberfläche vermeintlich geistloser Egoshooter verbirgt sich eine zusätzliche reflexive Ebene, die aber erst durch Exploration und Interpretation erkundet werden muss. Die dazu nötige Verweigerung ludischer Primärziele ist zwar auf den ersten Blick ungewohnt, aber dennoch lohnenswert. Der zusätzliche Arbeitsaufwand, der von den Entwicklern für diese versteckten Elemente aufgewendet wird, sollte zumindest durch Beachtung eine entsprechende Würdigung erfahren.
Update: Herzlichen Dank an Gamesphilosoph für den Hinweis, dass die Kreaturenbeschreibung natürlich nicht den Cyberdemon, sondern den Revenant beschreibt.