Mensch, wenn der George das sehen könnte. Die Erinnerungsfetzen flackern noch wirr vor ihren Augen als sie selbige vorsichtig zu öffnen wagt.
„Wie ist dein Name?“
Sie stützt sich auf ihre Ellebogen, atmet kraftlos.
„Dein Name! Sag mir deinen Namen!“
„Nillin“, haucht sie.
„Welches Jahr haben wir?“
„Ich weiß es nicht.“
Es ist 2084 und Dontnod Entertainment verlegt Georges dystopische Vision noch einmal hundert Jahre in die Zukunft. Als hätte die Bevölkerung von Neo-Paris nicht schon genug mit dem Wiederaufbau der verfallenen Großstadt zu tun, dominiert der MEMORIZE-Konzern auch noch den Markt der jetzt nicht mehr ganz so freien Gedanken. Erinnerungen sind zu einem Suchtmittel verkommen und abgesehen von ihrem Namen hat Nillin keine einzige mehr.
Als der Kopf einer oppositionellen Truppe sie aus den Fängen des Konzerns befreit, gerät sie zwischen die Konflikte. Das einzige, was noch größer ist als ihre Selbstzweifel, ist der Preis, den MEMORIZE auf ihren Kopf ausgesetzt hat. Kaum ist sie Staatsfeindin Nummer 1, da erwarten die geschundenen Untergrundkämpfer nicht weniger von ihr, als ihre Berufung zur Märtyrerin zu erfüllen – Erinnerungen nicht nur zu stehlen, sondern zu manipulieren. Dabei verlässt sich die Erzählung gerade in politischer Hinsicht gar nicht nur auf subtile Andeutungen. So infiltriert Nillin etwa bereits im ersten Drittel des Spiels das größte Gefängnis von Neo-Paris – La Bastille, dessen Herzstück ein Bentham’sches Panopticon darstellt. Es ist nur ein Beispiel von vielen, an dem sich zeigt, wie stark Dontnod Entertainment die Aufklärung in den Fokus zieht, um sie mittels Nillins innerer Zerissenheit gleichermaßen scharf zu kritisieren.
Das Panopticon ist ein konzeptueller Entwurf zum Bau eines Gefängnisses und wurde 1787 vom englischen Jurist und Philosoph Jeremy Bentham erarbeitet. Das Prinzip des allsehenden Auges ermöglicht es dabei, zahlreiche Insassen mit minimalem Aufwand dauerhaft dem Druck der Überwachung auszusetzen. Michel Foucault, einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, griff Benthams Konzept auf und beschrieb den sogenannten „Panoptismus“ als grundlegendes Prinzip westlicher Industrienationen.
Doch es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, sondern immer nur den einen, weshalb Remember Me die beeindruckenden Fassaden der Großstadt hinter einer aufdringlichen Linearität versperrt. Von Knotenpunkt zu Knotenpunkt scheint selbst der letzte Funken Orientierungsvermögen überflüssig, wenn mögliche Kletterrouten farblich markiert werden. Dabei kämpft Nillin so galant wie gleichförmig, arbeitet sich eindrucksvoll und stumpf durch die anrückenden Antagonisten.
Die Manipulation der Erinnerungen kommt nur gelegentlich zum Einsatz und erinnert an ein Adventure ohne Rätsel. In einer Szenen aus der Vergangenheit können einzelne Details verändert werden, was zu einem alternativen Ausgang und somit zu einer perfiden Diskrepanz von Realität und Erinnerung führt. So glaubt Nillins Widersacherin ihr Mann wäre tot, dabei ist er es gar nicht. Lustig. Von solch invasiven Möglichkeiten können US-amerikanische Geheimdienste nur träumen.
Stefan meint:
Remember Me bleibt pathetisch, wirkt so konstruiert wie die Studio-Filme aus den 20er Jahren und fesselt nie genug, um den Zenit des Mediums in Sichtweite rücken zu lassen. Doch das Thema und die detailverliebten Zitate aus den dystopischen Meilensteinen verleihen dem Spiel einen besonderen Reiz. Dabei mag man Brave New World und 1984 für überholte Schinken halten, doch es gibt allen Grund den Topos Überwachungsstaat nicht aus dem Auge zu verlieren. Der tobende NSA-Skandal ist der perfekte Anlass, um Neo-Paris einen Besuch abzustatten.
Remember Me erschien am 07. Juni 2013 für PlayStation 3, Xbox360 und PC.