Hätte mich jemand vor einem halben Jahr gefragt, was ich von Rayman Legends halte, so hätte ich vermutlich mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass es nicht so mein Fall sei. Ja, Rayman Legends und ich waren zu Beginn unserer Reise keine Freunde. Nicht unbedingt spinnefeind, das nicht. Aber ich war lange Zeit skeptisch. Es packte mich nicht richtig. Der Ehrgeiz und das Interesse weiterzuspielen, waren beinahe zu gering, um es nach den ersten zwei Versuchen überhaupt nochmal zu starten.
Mir erschien die Steuerung zu sperrig, insgesamt war mir das Spiel zu kindlich, während sich im Kontrast dazu die Level übermäßig herausfordernd gestalteten. Vor allem aber konnte ich mit der Spielfigur Rayman selbst überhaupt nichts anfangen, er war mir seltsamerweise von Anfang an unsympathisch und suspekt. Wie kann ich auch einer Spielfigur vertrauen, die keine Arme und Beine, dafür aber schwebende Hände und Füße hat, nicht wahr?
Erst nachdem ich neue Spielfiguren freischaltete und mich schließlich auf Estelia festlegte – eine Prinzessin aus der im Stil des Día de los Muertos angelehnten Welt, bei deren Design mit bis heute das Herz aufgeht – gelang es mir, einen Bezug zu meiner Spielfigur und damit auch zum Spiel aufzubauen. Als ich dann auch noch am Ende der ersten Welt in Rayman Legends auf das grandiose Rhythmuslevel zu Black Betty von Ram Jam stieß und mich der Ehrgeiz packte, auch die anderen Abschlusslevel der weiteren Welten zu sehen, hatte mich das Spiel endgültig für sich gewonnen.
Rayman Legends, das zu keiner Zeit jemals leicht war, wurde in seinem Verlauf immer schwieriger, dafür steigerte sich aber meine Expertise, zusammen mit meinem Ehrgeiz und meiner Begeisterung. Selbst Level, die mich an den Rand der Verzweiflung trieben, schloss ich letztendlich mit großer Freude ab. Meine Skepsis gegenüber dem albernen und kindlichen Humor wandelte sich in Wertschätzung für die Leichtigkeit und den Frohsinn, die das Spiel dadurch erhielt. Dinge, denen ich zuvor wenig Beachtung geschenkt hatte, wurden zu den Gründen, wieso ich es einfach immer weiterspielte: Die Musik, die so passend und stimmig die liebevollen Designelemente ergänzt; die bis ins kleinste Detail durchdachten Level, in denen Spannung und Spaß einander die Hand reichen. All diese Dinge lehrten mich, Rayman Legends zu schätzen und zu lieben.
Zusätzlichen Bereichen, die das Spiel neben den Hauptwelten bot, wie Zusatzlevel, Herausforderungen und Sammelobjekte, schenkte ich in dieser Zeit nie viel Aufmerksamkeit. Vielmehr konzentrierte ich mich auf das Abschließen der Level, die immer irgendetwas Neues bereithielten. Doch jedes Spiel findet irgendwann sein Ende und so gelangte ich auch bei Rayman Legends zum letzten Level und beendete es nach gefühlt tausend Versuchen. Trotzdem war ich nicht zufrieden, nicht davon überzeugt, dass es wirklich schon zu Ende sein sollte. Deshalb war ich auch sehr froh, noch so viele Zusatzaufgaben zu erledigen zu haben und schätzte die doch schon so manches Mal gescholtene Manier von Ubisoft, unnötig viele Sammelobjekte in ein Spiel einzubauen, an dieser Stelle sehr. Und, der wichtigste Punkt – ich hatte erst einen Bruchteil der zu erringenden Trophäen erhalten.
Ich habe mich selbst nie als große Trophäen-Jägerin gesehen. Stellte sich das Abschließen einer Aufgabe für das Erlangen einer Trophäe als zu aufwendig oder schwierig heraus, warf ich das Bestreben nach der Platin-Trophäe auch schon bei anderen Spielen schnell über Bord. Die leise Unzufriedenheit im Hinterkopf, die bei mir mit der Unvollständigkeit von Trophäen einherging, erschien mir zu keiner Zeit sonderlich schlimm im Vergleich zum Zeitaufwand und Frustrationslevel, dem ich mich mit einer Jagd nach einer schwierig zu erlangenden Trophäe hätte aussetzen müssen.
Ich scrollte mich also routinemäßig durch die Trophäen-Übersicht von Rayman Legends, sozusagen um mich, wie bei jedem anderen Spiel davor auch, davon zu überzeugen, wie unmöglich es wohl diesmal sein würde, das seltene Platin zu erlangen. Und ich wurde nicht enttäuscht: Auch hier würde ich keine große Chance haben, jemals auch nur annähernd an die 100% und damit die Platin-Trophäe zu gelangen. Der Grund: Ein Hindernis, an dem sicherlich auch schon viele andere vor mir gescheitert waren. Die ultimative Hingabe für das Spiel – der Beweis, es ernst zu meinen. „Die höchste Genialitätsstufe erreichen“, besagt die Beschreibung für diese unscheinbare Silber-Trophäe am Ende der langen Liste. So einfach und kurz formuliert und doch so unmöglich zu erreichen.
Die Trophäe erfordert es über mehrere Monate hinweg – am besten jeden Tag – an den vier Online-Challenges teilzunehmen und bei jeder ein gutes Ergebnis zu erreichen, damit aus den Monaten nicht ein Jahr wird. Eine kurze Erklärung: Für das erfolgreiche Abschließen dieser Challenges erhält man Pokale, die eine verschiedene Anzahl an Punkten einbringen. Die höchste Genialitätsstufe kann nur mit einer irrsinnig hohen Punktzahl erreicht werden.
Als mir das Ausmaß der Herausforderung und die Hingabe, die ich dafür würde aufwenden müssen, klar wurde, sagte ich mir: „Mir fehlen noch so viele andere Trophäen… Hier ist der Punkt, an dem ich aufhören sollte. Niemals werde ich es schaffen, mehrere Monate konsequent gute Ergebnisse zu erzielen, dafür sind die Challenges zu schwierig.“
Doch der Spaß am Spiel ließ nicht nach. Ich hakte immer mehr Aufgaben ab, sammelte nach und nach die anderen Trophäen, bis ich schließlich den ‚point of no return’ erreichte und mich nur noch eine Trophäe von den 100% trennte. Sollte ich mich wirklich an diese Monsteraufgabe wagen? Ich hatte doch nun schon so viel Aufwand investiert – sollte er wirklich umsonst gewesen sein?
Ich wagte es. Ich spielte jeden Tag. Baute das Spiel in meine Tagesroutine ein und vergaß, wenn möglich, kein einziges Mal die Online-Challenges zu machen. Jeden Morgen um halb 11 Uhr schaltete ich meine PlayStation ein, startete Rayman Legends, machte die Challenges und begann erst dann meinen eigentlichen Tag, wenn nicht gerade etwas anderes anstand.
In dieser Zeit lernte ich eine ganz andere Seite von Rayman Legends kennen. Ich trat nun nicht mehr nur gegen das Spiel an, das mir Herausforderungen entgegenwarf, um zu sehen, wie ich damit zurechtkam. Nein, nun trat ich auch gegen andere Spieler an, konnte mich mit ihnen messen und versuchen, ihre Ergebnisse schlagen. Meine sonst tief schlummernde, kompetitive Ader erwachte.
Zu Beginn musste ich erst einmal die verschiedenen Formen der Challenges kennenlernen: „Komme so weit wie du kannst“, „Erreiche diese Entfernung in kürzester Zeit“, „Sammle in dieser Zeit so viele Lums wie du kannst“ – alles Disziplinen, die im eigentlichen Spiel so nicht vorkommen. Jede dieser Challenges verlangt größte Konzentration, Kenntnis der Mechaniken und versteckten Tricks des Spiels und die einzelnen Versatzstücke der Challenges.
Bis ich den Punkt erreichte, an dem ich bei jeder Challenge immerhin einen Goldpokal erhielt, vergingen Wochen. Doch die Meisterklasse – den Diamantenpokal – erreichte ich nur ein einziges Mal. Trotz meiner Hingabe und meiner ausgiebigen Kenntnis und Übung blieb mir diese höchste Belohnung fast immer verwehrt. Ich war nie gut genug. Aber trotzdem war die Herausforderung immer da, ich war so oft nur knapp davon entfernt, diesen Pokal zu erlangen. Das Nicht-Schaffen spornte mich umso mehr an, es wieder und wieder und wieder zu versuchen – immer in dem Wissen, dass ich im nächsten Durchlauf vielleicht besser werden und noch mehr Übung bekommen könnte, um das eben noch so unüberwindbare Hindernis mit Leichtigkeit hinter mir zu lassen und dann in kürzester Zeit wieder am nächsten zu scheitern. Das absolute Ziel der Platin-Trophäe rückte in diesen Momenten völlig in den Hintergrund, sodass die Challenges nicht mehr nur Mittel zum Zweck waren, sondern ihren Zweck in sich selbst enthielten.
Die lange Reise von der Jagd nach der Platin-Trophäe begann im Mai und nun, im Oktober, neigt sie sich endlich ihrem Ende. Während ich diesen Artikel schreibe, bin ich nicht einmal mehr eine Woche von diesem Ziel entfernt. Und meine Gedanken kreisen: Ja, selbstverständlich ist es ein erfüllendes Gefühl, das Ziel, das ich so lange verfolgt und in das ich so viel Mühe investiert habe, nun endlich zu erreichen. Aber es ist auch bitter. Rayman Legends hat mir mehr als ein halbes Jahr lang die kurzweiligste und beizeiten auch liebste Zerstreuung geboten, ist mir mit all seinen Niedlichkeiten, Herausforderungen und seiner Kunst so ans Herz gewachsen und steht jetzt kurz davor, aus meinem Leben zu verschwinden und damit ein Loch zu hinterlassen.
Denn natürlich kann ich das Spiel weiterspielen, selbst nachdem ich alles darin erreicht habe. Aber es wird niemals mehr das Gleiche sein. Mein glühender Eifer wird verschwunden sein und die Challenges werden ihren Reiz, vielleicht sogar ihren Sinn für mich verloren haben. Es steht mir also ein bittersüßer Abschied bevor, denn um nichts in der Welt möchte ich die schöne Zeit, die ich mit Rayman Legends hatte, gegen den verzweifelten Versuch eintauschen, den Spaß daran zu erhalten. Vielmehr möchte ich sie dankbar, vielleicht sogar auch ein wenig idealisiert und pathetisch, im Gedächtnis behalten und sie als eine meiner schönsten Spielerfahrungen verwahren.