Neulich ist es wieder passiert. Am Sonntag auf dem Fußballturnier meines Sohnes. Wie das eben so ist, wenn man plötzlich mit diversen anderen Erwachsenen Zeit zusammen verbringt: Man fängt an, sich miteinander zu unterhalten. Und natürlich kommt neben allerlei kontextbezogenem Fußball-Smalltalk auch irgendwann die Frage „…und was machst du so beruflich?“
Das ist der Punkt, wo bei mir die innere Stimme in einem ständigen Zwiespalt steckt. Mein Gegenüber hat mir bereits verraten, dass er schon seit mehreren Jahren für eine Immobilienfirma arbeitet und Grundstücke vermittelt. Er ist stolz auf seinen Beruf und trägt dies auch in seiner Kleidung und seinem Habitus nach außen. Nun blickt er mich erwartungsvoll an.
Manchmal, wenn ich in solchen Situationen den einfachen Weg wähle, sage ich dann einfach „Ich arbeite in der IT“, was weitere Nachfragen meistens mit einem kurzen anerkennenden Nicken und einem tonlosen „Aha“ beenden. Niemand möchte, dass ich an dieser Stelle weiter aushole, um über Programmiersprachen und Datenbanken zu reden. Dann doch lieber weiter Fußball-Smalltalk. Den Menschen, die mit dem Begriff „IT“ nichts anfangen können, sage ich hingegen, dass ich „was mit Compuuutern“ mache, womit die Gespräche ebenfalls in der Regel beendet sind.
Aber das ist leider nicht die Wahrheit: Eigentlich habe ich lediglich die letzten Jahre in diesem Berufsfeld gearbeitet und mache mittlerweile etwas, was ich normalerweise eher für mich behalte – es sei denn, ich befinde mich unter Gleichgesinnten. Aber was solls? Das Gespräch war bis hierhin sehr nett, mein Gesprächspartner ist es ebenfalls…was soll schon passieren?
„Ich beschäftige mich wissenschaftlich mit Videospielen.“
Man muss meinem Gegenüber zugutehalten, dass er seine Überraschung und Irritation beinahe vollständig unterdrücken kann – aber eben nur beinahe. Daraufhin folgt ein typischer Kommentar:
„…okay.“, gefolgt von der unvermeidlichen Anschlussfrage: „…und wofür ist das gut?“ was wiederum „Welchen Sinn hat das?“ impliziert und in der finalen Frage „Davon kann man leben?“ gipfelt. Anschließend habe ich immer das Gefühl, dass ich mich in einer Position befinde, in der ich mich für meine Affinität zu digitalen Spielen rechtfertigen müsste.
Es ist dieser Moment, weswegen ich solche Diskussionen eigentlich tunlichst vermeide. Klar, allen Geisteswissenschaftlern werden diese Fragen gestellt, jedoch können beispielsweise die Philosophen immer noch mildernde Umstände geltend machen, indem sie darauf plädieren, durch die „Liebe zur Weisheit“ die Welt bzw. die menschliche Existenz zu ergründen. Ich beschäftige mich hingegen „nur“ mit einem Medium, was von einem großen Teil der Gesellschaft wahlweise als zerebrale Gefahr für Kinder oder Spielzeug für technikversessene Nerds angesehen wird und interpretiere in zusammenprogrammierte Pixelhaufen vielleicht einen tieferen Sinn hinein, der eventuell gar nicht vorhanden ist.
Innerhalb der eigenen Filterblase existiert dieses schamhafte Verhalten nicht. Sobald man sich jedoch außerhalb dessen offenbart, ist die Situation ungefähr vergleichbar mit einem voll ausstaffierten Cosplayer, der in der Provinz auf einem belebten öffentlichen Platz verzweifelt auf die Ankunft seiner Peer-Group wartet, damit er endlich unter seinesgleichen ist und von den umstehenden Personen nicht ständig angestarrt und belächelt wird.
Gibt es dafür eine Bezeichnung? Kürzlich bezeichneten wir in der Kolloquiumsrunde bzw. im Pixeldiskurs-Podcast ein solches Verhalten spaßeshalber als „GameShame“, nur um im weiteren Gesprächsverlauf die bittere Gewissheit zu erfahren, dass dieses nicht nur sehr verbreitet ist (wir alle konnten eine ähnliche Geschichte aus dem persönlichen Erfahrungsschatz dazu beitragen), sondern der Begriff gar nicht so abwegig zu sein scheint. Wer hat nicht schon verschämt das Smartphone so gehalten, dass die Außenstehenden nicht sehen können, dass man Pokémon Go spielt? Wer behält in Vorstellungsrunden nicht lieber erstmal die Vorliebe für Open World-Rollenspiele für sich, um nicht gleich mit einem Nerd-Malus in das neue Umfeld zu starten? Wer gibt schon gerne zu, dass er auch im fortgeschrittenen Alter immer noch Videospiele spielt?
Die Ursache für dieses soziale Verhalten ist in verschiedenen Faktoren zu suchen, wovon das Alter der beteiligten Personen sicher eine wichtige Rolle spielt. Die Generation, die in ihrer Jugend mit Videospielen aufgewachsen ist, erreicht nun die Alterszielgruppe zwischen 35 und 45, ist möglicherweise verheiratet und hat eigene Kinder. Die dadurch entstehende Kluft in den Generationen manifestiert sich möglicherweise auch durch deren unterschiedlich ausgeprägte Sozialisation mit digitalen Spielen. Zudem wird das Medium immer noch mit klischeehaften Stereotypen konnotiert, was möglicherweise auch durch die öffentlich immer wieder aufbrandende Killerspiel-Debatte und die dadurch erfolgte Stigmatisierung begünstigt wird.
Interessant wäre es daher, die in im Zusammenhang mit „GameShame“ auftretenden Motive und Ausprägungen ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen, auch im Hinblick darauf, inwieweit sich dieses Phänomen historisch gewandelt hat.
In den nächsten Wochen werden unterschiedliche Mitglieder des Kolloquiums in loser Folge einige Artikel zur Thematik veröffentlichen, um die einzelnen Aspekte dieses Phänomens möglichst detailliert zu präsentieren.