Seit Anbeginn zählt der digitale Tod zu einem zentralen Strukturmerkmal des Computerspiels. Die Formen zu sterben variieren dabei immens und auch die Funktionen, die der Tod im jeweiligen Spiel erfüllt, sind verschiedene. Als Funktion kann der Tod zum einen als narratives Mittel, wie z. B. auch in Fernsehserien – man denke nur an Game of Thrones oder The Walking Dead, eingesetzt werden oder zum anderen Teil der Spielmechanik sein. Auf eine ebensolche Spielmechanik setzt das nun für die Playstation 4 erschienene Life Goes On: Done to Death (Infinite Monkeys Entertainment), wenn man sich von Level zu Level stirbt, um den Gral des Lebens zu erreichen. Dieser Umstand, den digitalen Tod nicht als Strafe zu betrachten, hat mich dazu gebracht, meine kürzlich aufgestellte Theorie der Death Time zu überdenken, was im Folgenden anhand von Life Goes On: Done to Death geschehen soll. Zunächst möchte ich allerdings erklären, was ich unter Death Time verstehe.
Die Death Time im Computerspiel[1]
Die Organisation von Zeit ist im Medium Computerspiel eine andere als etwa in der Fernsehserie oder auch im Film, weil der Spieler[2] an den Handlungen im Spiel teilnimmt und diese beeinflussen kann. Gegenüberstellen lassen sich daher zunächst einmal folgende Positionen:
„The dominant temporal relation in (computer) games is the one between user time (the actions of the player) and event time (the happenings of the game), whereas in narratives it’s between story time (the time of the events told) and discourse time (the time of the telling).”[3]
Während also ein narrativer Text (z. B. eine Folge einer Fernsehserie) eine bestimmte Zeit braucht (discourse time oder auch narrative time genannt), um die Geschichte, die wiederum ihre eigene Zeit hat (die sogenannte story time), zu erzählen, haben im Computerspiel die Handlungen des Spielers (user time oder auch play time genannt) Auswirkungen auf das Geschehen im Spiel (die sogenannte event time). Natürlich, und das ist eine epistemologisch wichtige Feststellung, sind Computerspiele Hybride beider Zeitlichkeiten, weil der Spieler nicht nur spielt, sondern auch zusieht (z. B. während Zwischensequenzen).
Zentral für die Game Time, so wie sie von Jesper Juul formuliert wurde, ist das sogenannte mapping[4], wodurch die play time mit der event time verbunden wird, also die Auswirkungen des Spielers auf das Spiel projiziert werden, was im Sinne von Juul durch folgende Grafik illustriert werden kann:
Die play time kann beispielsweise durch Ladebildschirme oder Zwischensequenzen unterbrochen werden bzw. von einer narrative time abgelöst werden. In dieser Hinsicht würde sich der digitale Tod dann als eine Auszeit von der Spielzeit artikulieren. Der Tod der Spielfigur auf der Ebene der event time hat demnach Folgen für die play time, insofern dass diese stoppt oder unterbrochen wird. Aufgrund einer solchen Zeitstrafe hat der digitale Tod eine Lernfunktion inne:
„The educational function of death in computer games is related to the player’s skill at playing the game. As a beginner without much knowledge about the game, the player will die more often than a player who knows the game.”[5]
Durch das Sterben der Spielfigur und den Wiedereinstieg ins Spiel kann der Spieler aus seinen Fehlern lernen und besser werden. In den meisten Spielen wird die Spielfigur nach ihrem Tod wieder zurück an ihren Startpunkt gesetzt und die play time kurz durch eine Zwischensequenz oder einen Ladebildschirm unterbrochen, was folgende Grafik zeigt:
Die Länge einer solchen Auszeit variiert von Spiel zu Spiel. Einige Computerspiele verhängen überhaupt keine Zeitstrafe wie Super Meat Boy, andere wie etwa Don’t Starve setzen diese in Form von einem Permadeath absolut. Life Goes On macht, wie paradox es auch zunächst klingen mag, beides und liefert damit, was es verspricht: virtuelles Leben.
Life Goes On
Die Rahmenhandlung von Life Goes On ist recht simpel: Ein König schickt eine endlose Armee an Rittern in die Levels der unbekannten Welt, auf der Suche nach den Gralen des Lebens. Das Ziel jedes Levels ist das Erreichen eines dieser Grale, ähnlich wie in Super Meat Boy ein Level erst geschafft ist, wenn Bandage Girl erreicht wurde.
Im Unterschied zu Super Meat Boy wird die Spielfigur nach ihrem Tod allerdings nicht wieder zurück an den Levelanfang gesetzt und die event time von neuem gestartet, sondern eine neue Spielfigur generiert. Nicht nur das Leben, sondern auch die event time geht in diesem Sinne immer weiter, zwar nicht für Spielfigur #1, aber von Spielfigur #2 usw. Ein Beispiel: Auf dem Boden befinden sich tödliche Stacheln, in einer Grube, die zu weit ist, um übersprungen zu werden. Beim Versuch stirbt Ritter #1 und wird von den Stacheln aufgespießt. Ohne Unterbrechung kann nun Ritter #2 ‚gespawnt‘ werden, auf die verbleibende Leiche von Ritter #1 draufspringen und die tödlichen Stacheln unbeschadet überqueren. Auf diese Weise stirbt man sich zum Levelende, natürlich mit steigender Rätselkomplexität und variierenden Todesarten, von der Zombifizierung bis zum Einfrieren –natürlich alles im Spieldesign verankert. Die Schwierigkeit changiert dabei auf einem angenehmen Niveau; die Frustration hält sich in Grenzen, auch wenn oder gerade weil man ständig stirbt.
Theoretisch formuliert findet ein Wechsel der Handlungsposition des Spielers d. h. des Point of Action (PoA) statt, wenn seine Spielfigur stirbt.[6] Der PoA von Spielfigur #1 wird dann auf Spielfigur #2 übertragen, bis hin auf Spielfigur #X, was folgende Grafik verdeutlicht:
Life Goes On treibt diese Mechanik im Vergleich zu anderen Spielen, die i. d. R. nur eine begrenzte Anzahl an Spielfiguren bereitstellen, ins nahezu Unendliche. Es darf beliebig oft gestorben werden, auch wenn dann nicht mehr die Spitzenzeit und der vorgegebene Bodycount erreicht werden kann, wobei beides keine Auswirkung auf das Spielziel hat.
Abschließend bleibt zu hinterfragen, inwiefern der Tod in Life Goes On tatsächlich als Permadeath (PD), wie in meiner Grafik behauptet, betrachtet werden kann. Der Permadeath wird nämlich eigentlich über drei Kriterien definiert, die sich nur mit Einschränkungen in Life Goes On wiederfinden lassen:
1.) the character’s life must be significant to the player
2.) the character’s life must be unique
3.) the character’s life must be at risk of being irrevocably lost[7]
- Signifikant ist das Leben der Ritter für den Spieler keineswegs. Es entsteht keine emotionale Bindung zu den Figuren. Viel eher zelebriert der Spieler ihr Ableben, nutzt es rational aus oder egalisiert es.
- Eine Einzigartigkeit der Spielfigur suggeriert das Spiel durchaus, wenn jeder Ritter seinen eigenen Namen trägt, der schon mal in eine absurde Länge getrieben wird. Das erinnert sehr stark an Rogue Legacy, wo der Spieler ebenfalls den PoA von verschiedenen Rittern übernimmt. Der Knackpunkt, warum es sich bei Rogue Legacy eindeutig um einen Permadeath handelt, ist, dass es dort eine Abstammungslinie gibt, die jeden Ritter je nach Vorfahren mit einer Bestimmten Fähigkeit ausstattet (Größe, Stärke usw.). In Life Goes On hingegen können alle Ritter genau das Gleiche: laufen, springen, festhalten und natürlich sterben. Durch Rüstungen werden die Ritter zwar äußerlich individualisiert, von dem optischen Effekt abgesehen, liefern diese jedoch keinerlei Vor- oder Nachteile.
- Auch wenn 1.) und 2.) nicht zutreffen, verbleibt dennoch der irreversible Tod. Dieser stellt sich allerdings nicht als ein Risiko für den Spieler heraus, weil die Spielfigur ihm egal ist. Stirbt sie, wird sie sogleich durch einen identischen Klon ersetzt.
Life Goes On stellt das Konzept des Permadeath also in Frage. Irgendwie liegt es vor, irgendwie aber auch nicht. Die einzelnen Ritter erleiden eine permanente Auszeit ihrer event time, wobei dies keine Folgen für die play time hat und insofern dem Spieler egal sein wird. Auch stellt sich die Frage, ob die einzelnen Spielfiguren nicht vielleicht besser als eine Spielfigur gedacht werden sollten, schließlich sind sie qualitativ gleich, was vom Spiel durch ihren Namen und ihre Rüstungen allerdings so nicht suggeriert wird. An dieser Stelle hätte die Komplexität von Life Goes On angezogen werden können, wenn jeder Ritter wie bei Rogue Legacy seine eigene individuelle Fähigkeit bekommen hätte. Das hätte Life Goes On vermutlich aber auch zu einem ganz anderen Spiel gemacht, das gerade durch seine Zugänglichkeit punktet. Alles in allem hat es viel Spaß gemacht in Life Goes On immer wieder zu sterben, was keine Selbstverständlichkeit ist, denn „[d]ying means a lack of control and leads to results that are annoying for the player.”[8]
[1] Zu folgenden Überlegungen siehe auch Pauliks, Kevin (2016): „Death Time. Die zeitliche Interferenz von Tod und Sterben in Computerspiel und Fernsehserie“, in: Playing in-between. Intermediale Aspekte zeitgenössischer Computerspielpraxis, hrsg. von Bendels/Runzheimer/Strecker, Glückstadt: vwh, S. 22–31.
[2] Bei Spieler ist natürlich auch an weibliche Spielerinnen zu denken, denn gemeint ist ein genderneutraler Modellspieler.
[3] Eskelinen, Markku (2001): „The Gaming Situation“, URL: http://www.gamestudies.org/0101/eskelinen/ (16.05.2016).
[4] Vgl. Juul, Jesper (2004): „Introduction to Game Time“, in: First Person. New Media as Story, Performance, and Game, hrsg. v. Noah Wardrip-Fruin und Pat Harrigan, Cambridge: MIT Press, S. 134f.
[5] Wenz, Karin (2012): „Death and Resurrection“, in: Encyclopedia of Video Games. The Culture, Technology, and Art of Gaming, hrsg. v. Mark Wolf, Santa Barbara: Greenwood, S. 161.
[6] Vgl. Neitzel, Britta (2013): „Point of View und Point of Action. Eine Perspektive auf die Perspektive in Computerspielen“, in: Repositorium Medienkulturforschung, Nr. 4, online: http://repositorium.medienkulturforschung
.de/neitzel-2013-perspektive-in-computerspielen/ (16.05.2016), S. 9.
[7] Rousse, Thomas Henry (2011): „On Permadeath. The State of Death in the Age of Electronic Resurrection“, online: http://ssrn.com/abstract=2001550 (16.05.2016), S. 8.
[8] Wenz 2012, S. 161.