Fällt einmal das Internet aus, geht der Computer nicht mehr an oder ist das Handy verloren, fühlt man sich plötzlich wie in die Steinzeit zurückversetzt. Dass diese Abhängigkeit von Technik in Zukunft vermutlich noch zunehmen wird, veranschaulicht eindrucksvoll das dystopische Point-&-Click-Adventure Technobabylon. Wie gut das Spiel seine Technik- und Cyberkultur ausgestaltet, könnt Ihr im folgenden Review lesen.
Als die Protagonistin Latha plötzlich aus der Trance gerissen wird, bricht für sie ihre Welt zusammen. Die Trance ist ihr Zufluchtsort, der Cyberspace mit unbegrenzten Möglichkeiten. Da das Internet versagt, ist sie offline und zurück in ihrer verwahrlosten Wohnung. Hier startet das Spiel: Latha muss einen Weg aus ihrer Wohnung finden, in der sie eingesperrt ist, ebenso wie aus der Realität (Kap. 1: Prisoner of Consciousness). Die Trance-Abhängigkeit (oder eben Internetsucht) wirft dabei einige Parallelen zur Heroin-Abhängigkeit auf. Vor allem Menschen aus der Unterschicht sind süchtig nach dem Eskapismus in die Trance; Abhängige werden als „thralls“ bezeichnet und von der Gesellschaft ausgegrenzt. Technobabylon ist vollgepackt mit Sozialkritik, die sich nicht nur an jeder Ecke der detaillierten Spielwelt wiederfinden lässt, sondern auch trotz Zukunft-Setting aktuelle Fragen aufwirft, wie die zunehmende Mediatisierung der Menschheit.[1]
Der Mensch, „dieses feuchte Wesen“[2], braucht einen bestimmten Stoff, die Wetware, um sich mit den harten KI-Maschinen kurzschließen zu können. Zum Glück des Spielers hat Latha einen ganzen Vorrat davon in ihrem Bad angebaut. Wetware fungiert im Spiel als Medium zwischen Mensch und Maschine. In Cyberpunkmanier verhandelt Technobabylon überhaupt erst die Differenz von Mensch und künstlicher Intelligenz. Grundlegend geht es um die Erschaffung der ubiquitären KI Central und ihre Auswirkungen auf die Stadt Newton – eben das Einmaleins des Cyberpunk-Genres.
Das ist zwar schon ganz nett, macht Technobabylon aber noch nicht besonders. Wirklich toll sind die Rätsel und Dialoge um und mit den Alltagsmaschinen im Spiel. Wenn die Food Machine, die verblüffende Ähnlichkeit zu einigen Koch-Apps aufweist, kein gewünschtes Metall-Geschirr rausrückt, dann bekommt sie halt einen Virus verpasst. Sie kennt darauf jedoch nur eine Antwort: „Your mama!“ Trial by combat durch die personifizierte Firewall ist dann eben die Folge und das Ende der so wundervoll nervenden Food Machine. Solche Momente lassen Technobabylon hervorstechen, weil sie voller Liebe zum Detail stecken. Stimmungsvoller hätte die Welt kaum designt werden können, was vor allem an der Kohärenz des Cyberpunk-Stils liegt.
Technobabylon ist ein softes Spiel. Damit ist nicht gemeint, dass es zu leicht ist. Die Rätsel sind stets anspruchsvoll, abwechslungsreich und nachvollziehbar. Der Spieler übernimmt eben nicht nur die Rolle von der vorgestellten Latha Sesame, sondern auch die von CEL-Agenten Dr. Max Lao, Dr. Charlie Regis und dessen Frau Viksha. Jeder der spielbaren Figuren nimmt dabei rätseltechnisch eine andere Rolle ein. Mit Latha ist der Spieler oftmals bemüht ein- oder auszubrechen – sei es auch in virtuelle Umgebungen. Mit den CEL-Agenten untersucht der Spieler hingegen eher Tatorte. Und mit Viksha wird schließlich die Vergangenheit entschlüsselt. Durch diese Dynamik kommt Abwechslung ins Spiel. Technobabylon ist also nicht leicht oder gar trivial, sondern spielt sich wunderbar weich. Das Adventure gleitet geschmeidig daher, ohne zu stören oder anzuecken, sodass man die gesamte Spielzeit (ca. 15 Stunden) angenehm involviert bleibt. Zwar ist die Cyberpunk-Geschichte nichts Neues und das Spielprinzip eher klassisch Point-&-Click, aber die Detailverliebtheit in die Welt und Figuren wirklich außergewöhnlich. Hier würde es sich bei einem erneuten Spielverlauf sicher lohnen, nochmal in Ruhe durch die dystopische Zukunftswelt zu flanieren, um den zahlreichen Details und Referenzen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdienen.
[1] Hier wäre vor allem an die (wieder)aufkommenden VR-Techniken zu denken, wie das Oculus Rift, die auch als Vermittlungsinstanz zwischen Mensch und Maschine fungieren.
[2] Fohrmann, Jürgen (2004): „Der Unterschied der Medien“, in: Die Kommunikation der Medien, ders. und Erhard Schüttpelz (Hg.), Tübingen: Niemeyer, S. 5–19, hier S. 9.