Money for nothing and the klicks for free

Geld für nichts – Während diese Beschreibung in der heutigen Zeit eher mit den Tätigkeiten eines Testschläfers oder Rasenwächters gleichgesetzt wird, findet sich auf der von der Firma Valve entwickelten Spieleplattform Steam seit Mitte des Jahres 2013 eine ähnlich erscheinende Form der Belohnung, die die Spielenden für geringfügige Tätigkeiten mit (zugegeben minimalsten) Geldbeträgen entlohnt: Die Steam Sammelkarten.

Zum Summer Sale 2013 wurde dieses auf den ersten Blick etwas eigentümlich anmutende Feature auf die Spielergemeinde losgelassen. Das Prinzip ist einfach: Bestimmte Spiele, die man bei Steam kaufen kann, werfen im Laufe ihres Spielablaufs eine bestimmte Anzahl an thematisch passenden Sammelkarten ab, die in ausreichender Anzahl (meist zwischen sechs und zehn) ein vollständiges Set ergeben. Der Knackpunkt an der Sache besteht darin, dass man durch das pure Spielen eines Spiels nur exakt die Hälfte der dort verfügbaren Sammelkarten erhalten kann. Die restliche Hälfte kann mit anderen Sammlern getauscht oder – und hier wird es interessant – gegen reales Geld im Steam Market von anderen Sammlern abgekauft werden.

Wertverlauf einer Sammelkarte im Steam Market

Wertverlauf einer Sammelkarte im Steam Market

Doch damit nicht genug: Während normale Sammelkarten einen vergleichsweise geringen Tauschwert erzielen (üblicherweise zwischen fünf und zwanzig Cent), besteht eine prozentuale Möglichkeit, eine besondere Glanz-Sammelkarte zu erhalten, welche – je nach Seltenheit – gleich mehrere Euro wert ist. Zum Vergleich: Während der Spitzenpreis für die Sammelkarte „Snow Globe 5“ circa 50 Cent betrug, erzielte die Karte „Snow Globe 5 – Glanz“ am 19. Dezember bereits einen Preis von 11,55 €. Dies ist sicherlich überspitzt und muss im Kontext aller eintretenden Wahrscheinlichkeiten betrachtet werden. Dennoch: Das ist mehr als der Stundenlohn einer studentischen Hilfskraft. Und dies lediglich dafür, dass man ein bestimmtes Spiel auf Steam spielt und anschließend das dort erhaltene digitale Goodie verkauft.

Im kürzlich beendeten Steam Winter Sale gestaltete sich die Kartensammelei noch einfacher. Um eine Sammelkarte zu erhalten, musste man dort lediglich dreimal an einer alle acht Stunden stattfindenden Umfrage teilnehmen. Somit erhielt man für drei Klicks am Tag eine Sammelkarte, die anschließend verkauft werden konnte.

Wundert man sich nun noch über die plötzliche Möglichkeit, Geld aus „nichts“ zu generieren, werden auf einen zweiten Blick auch die Hintergründe und Verknüpfungen mit anderen Faktoren erkennbar. Warum zum Beispiel sollten Personen Geld für digitale Sammelkarten ausgeben, die sie auf einer proprietären Spieleplattform erhalten? Die vorschnelle Antwort „Der Mensch war schon immer ein Jäger und Sammler…und manchmal sammelt er halt bescheuerte Dinge“ liegt hier zwar auf der Zunge, greift jedoch zu kurz. Die einzelnen Facetten dieses Konstrukts sind, genauer betrachtet, faszinierender als auf den ersten Blick vermutet.

Sammelkartensets mit Fortschrittsanzeige

Sammelkartensets mit Fortschrittsanzeige

Da wäre zum Beispiel der Belohnungsfaktor eines kompletten Sets: Während der typische Sammler sich dieses in seinen Trophäenschrank stellen würde, um selbiges der Allgemeinheit zu präsentieren, hat der digitale Sammler die Option, das komplette Set gegen einen anderen Gegenstand einzutauschen, der innerhalb der Steam Community einsetzbar ist (z.B. als Wallpaper auf dem persönlichen Profil oder als Emoticon im Chat). Zusätzlich bekommt der Sammelnde noch einen Gutschein für ein zufällig ausgewähltes Spiel, zum Beispiel 75% Nachlass auf Portal.

Der Nachteil dieser auf den ersten Blick nicht ganz verständlichen Tauschaktion („Wofür brauche ich Emoticons? Wofür brauche ich Wallpaper?? WOFÜR BRAUCHE ICH GUTSCHEINE, WENN ES BEI STEAM ALLE PAAR TAGE EH STÄNDIG NACHLÄSSE AUF ALLE MÖGLICHEN SPIELE GIBT???“) besteht im Verlust des erhaltenen Sets. Jedoch greift an dieser Stelle ein weiterer Mechanismus, den gewiefte Betriebswissenschaftler-Nerds durchaus als „Kundenbindungsinstrument“ bezeichnen würden: Für den Tausch des Komplettsets bekommt der Spielende Erfahrungspunkte, mit denen er sein Steam-Profil aufwerten kann, bis dieses eine weitere Stufe aufsteigt. Ja, richtig gelesen: Man kann sein Steam-Profil ähnlich aufleveln wie einen virtuellen Charakter in einem beliebigen Rollenspiel, was in der Konsequenz diverse Verbesserungen freischaltet (z.B. die Erhöhung der maximalen Anzahl an Freunden, oder ein zusätzliches Showcase für gesammelte Abzeichen).

Die Sinnfrage nach den Emoticons

Die Sinnfrage nach den Emoticons

Böse Zungen würden an dieser Stelle nun gebetsmühlenartig das Lamento des bis hierhin immer noch diffusen „Sinn und Zweck“ wiederholen. Alle anderen haben in dieser Zeit bereits diverse Sets eingetauscht, um die erhaltenen seltenen Gegenstände gewinnbringend zu verkaufen und dadurch das eigene Steam-Profil durch ein öffentlichkeitswirksames „Level 15“ aufgewertet.

Wir fassen zusammen: Ich kaufe Spiele auf einer Plattform, spiele diese und bekomme dafür ohne weiteres Zutun spezielle Sammelkarten, die ich anschließend tauschen, verkaufen oder weiter sammeln kann, um die daraus entstehenden Komplettsets gegen weitere Gegenstände einzutauschen, die ich dann tauschen, verkaufen oder sammeln kann, um nebenher noch durch die dadurch entstehenden Erfahrungspunkte mein persönliches Profil auf dieser Plattform aufzuleveln. Wer jetzt immer noch nicht durchgestiegen ist, sammelt wahrscheinlich immer noch Briefmarken oder LPs. Kacknoob.

Spielerprofil auf Steam mit angezeigten Achievements

Spielerprofil auf Steam mit angezeigten Achievements

Theoretisch betrachtet könnte man in diesem „Mikro-Aktienhandel“ durch clevere An- und Verkäufe seinen persönlichen Gewinn steigern, dies jedoch selten im ertragreichen Rahmen. Daher macht es auch wenig Sinn, aus dem erhaltenen Geld neue Spiele bei Steam zu kaufen, da Aufwand und Ertrag nicht in einer geeigneten gewinnbringenden Relation stehen. Für ein günstiges Indie-Spiel müssten schon dutzende Karten verkauft werden, was daher nicht deren eigentlichem Zweck entspricht. Die Option der persönlichen Profilentwicklung erfüllt jedoch den bereits erwähnten Zweck der Kundenbindung, gekoppelt mit diversen psychologischen Effekten, denen Spielern seit jeher unterworfen sind: Sammeln, kaufen, horten, verkaufen, behängen, ausstaffieren, repräsentieren.

Durch die Verlagerung der Charakterentwicklung in eine diegetische Ebene, die sich zwischen der realen Welt des Spielenden und der digitalen Welt des Rollenspiel-Avatars befindet, wird eine Meta-Ebene erzeugt, die diese Effekte aufgreift und kumuliert. Während sich die ersten Nörgler während des Summer Sales noch über die Sinnhaftigkeit der Sammelkarten lustig gemacht haben, sind sie spätestens ein halbes Jahr später der fordernden Menge halbvoller Sammelkarten-Sets erlegen, welche im persönlichen Inventar vor sich hinvegetieren und wahlweise „Verkauf uns!“ oder „Vervollständige uns!“ rufen. Der Schritt von der ersten Tauschaktion mit anderen Spielenden bis hin zu „Oh, die Karte fehlt mir noch und kostet nur fünf Cent. Die kauf ich mir schnell von meinem Steam-Guthaben“ ist nur ein kleiner.

Dieser Vorgang folgt einem bekannten Muster, was sich im Laufe der letzten Jahre herausgebildet und – zum Unmut vieler Spielenden – mittlerweile etabliert hat: Der des kostenpflichtigen Zusatzinhalts, der signifikante Vorteile im Spiel verschafft, zum Beispiel der Wegfall zeitintensiven Aufwands (etwa bei Farmville und ähnlichen Spielen). Überflüssig zu erwähnen, dass Valve bei jeder Steam-Transaktion mitverdient. Hierbei handelt es sich zwar um Beträge in der Größenordnung von etwa zwei Cent, jedoch darf aufgrund der hohen Mitgliederzahlen (ca. 25 Millionen im Jahre 2010, Tendenz stark steigend) getrost davon ausgegangen werden, dass dies durchaus eine lukrative Nebeneinnahmequelle darstellt. Immerhin will Half-Life 3 ja auch ausreichend finanziert werden.

Auf lange Sicht dürfte diese Entwicklung eine intensiv vorbereitete Strategie sein, um passend zur Veröffentlichung der Steam Machine eine große Community für den Angriff auf die etablierten Konsolen im Rücken zu haben. Betrachtet man sich die Konkurrenz, ist dieser Schritt durchaus sinnvoll: Games for Windows LIVE wurde geschlossen und die NextGen-Konsolen leiden noch unter kleineren Kinderkrankheiten und mangelnden zugkräftigen Spielen. Die rechtzeitige Etablierung eines Bezahlsegments im Bezahlsegment, welches noch dazu ein cleveres psychologisches Suchtpotential bietet, kann man durchaus als genialen Schachzug bezeichnen: Die „Betaphase“ wurde auf den herkömmlichen Desktop-PCs bereits getestet und kann nun – erprobt, fehlerbereinigt und von den Nutzern angenommen – zusammen mit der erscheinenden Heimkonsole auf die Community losgelassen werden.

Die Flüchtigkeit digitaler Errungenschaften

Die Flüchtigkeit digitaler Errungenschaften

Und dass die Karten von den Nutzern angenommen werden, steht außer Frage. Kurz vor Ende des Steam Winter Sale 2013 (am 4. Januar 2014) wurde auf Steam verkündet, dass die in der Winteraktion erworbenen Karten zum Ende des Aktionszeitraumes verschwinden – es sei denn, man wandelt diese vorher noch in höherwertige Gegenstände um, was (im Zusammenspiel mit der hohen Anzahl an Sonderangeboten zum Ende der Aktion) prompt dazu führte, dass der Steam Market nur schwer erreichbar war. Dies wiederum führte zu einer erhöhten „kaufen/verkaufen“-Stimmung an der Sammelkartenbörse und sorgte für diverse adrenalingesteuerte Impulskäufe.

Der Faktor der verlässlichen und willigen Community festigt daher nicht nur den Start der neuen Konsole, sondern schafft mit den Sammelkarten und dem daraus entstehenden Aktienmarkt gleichzeitig ein innovatives Feature, welche die Platzhirsche Xbox One und PS4 im gegenseitigen Gerangel um die Pole Position vernachlässigt haben. Während diese sich in gegenseitigen minimalen Unterschieden bekriegen, könnte Valve es mit der Steam Machine und den etablierten Kundenbindungsinstrumenten schaffen, eine innovative Plattform zu bieten, die sich signifikant vom Sony/Microsoft-Einheitsbrei unterscheidet.

Zuletzt bleibt der Gedanke der „Entlohnung“ für die investierte Spielzeit interessant: Hatten Videospiele schon seit geraumer Zeit das Stigma der „Zeitverschwendung“ inne, wird nun in einem ersten vorsichtigen Schritt eine Art Bezahlung eingeführt, die das Spielen in einer digitalen Form belohnt. Kritiker werden nun anmerken, dass dieses Vorgehen natürlich einem ökonomischen Interesse folgt. Die Spielenden werden diese Option jedoch bereitwillig als innovativ begrüßen und weiterhin Karten sammeln, um dafür Belohnungen zu erhalten…vielleicht auch per Zufall einen 75%-Gutschein für Portal.

The cake is a lie...

The cake is a lie…

In diesem Spiel spielt man übrigens eine Art menschliche Laborratte, die – gesteuert durch eine befehlende Stimme – durch die repetitive Ausführung von Aufgaben den Ausweg aus einem Labyrinth finden muss und in jedem Level zur Motivation fortwährend eine Belohnung versprochen bekommt, die am Ende jedoch nicht existiert.

Der Hersteller dieses Spiels ist die Firma Valve.

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Über Bernhard Runzheimer

Bernhard Runzheimer (br) ist ausgebildeter Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung und arbeitete mehrere Jahre in diesem Beruf, bis er von existenziellen Sinnfragen an die Uni getrieben wurde. Von 2011 bis 2014 absolvierte er als Jahrgangsmethusalem den Bachelorstudiengang Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Obwohl er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters die Vorlieben seiner Kommilitonen für Pokemon, Transformers-Filme und ausschweifende Partys nicht wirklich teilt, hat er sich trotzdem dafür entschieden, zusätzlich den M.A. Medien und kulturelle Praxis in Marburg zu studieren. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Digital Humanities der Philipps-Universität Marburg, ist Gründungsmitglied und ehemaliger Chefredakteur des studentischen Game Studies-Kolloquiums der Philipps-Universität Marburg sowie Autor/Admin bei pixeldiskurs.de.