Die Schwere der Leichtigkeit: Warum der Mond in Bloodborne blutet

Der folgende Artikel enthält einen schwachen Spoiler für eine Szene in Bloodborne – der Kampf gegen Rom, the Vacuous Spider.

Kein einziges Wort wurde gesprochen. Noch als ich an einer Zigarette saugend aus dem Fenster starre, der Controller für den Moment unbeachtet auf dem Teppich liegt, staune ich darüber, wie eindringlich ein Spiel mich ergreifen kann – ohne ein einziges Wort zu verlieren.

Ich habe nun keine einschlägige Erfahrung mit den Souls-Spielen – ich weiß, möge die Schande meinen Leib zerfressen. Vielleicht wirkt Bloodborne deshalb eine so große Faszination auf mich aus. Es ist ein wunderschönes Spiel; man möchte gar nicht wegschauen und deshalb tun einem irgendwann die Augen weh. Es ist aber auch ein wahnsinnig forderndes Spiel; man möchte gar nicht aufhören, sondern den Fehler suchen, es das nächste Mal besser machen und deshalb tun einem  irgendwann die Finger weh. Alleine für die Balance zwischen Frustration und Zen-Meditation, die ich in kaum einem anderen Spiel so erfahren durfte, lohnt sich der Trubel.

Ein gnadenloses Stück Software, komplex, präzise und atemberaubend schön. Das alles hatte ich erwartet. Und doch fand ich mich am Fenster stehend in einer seltsamen Konfusion, einer ganz besonderen Ambivalenz. Gerade hatte ich Byrgenwerth erkundet, ein altes Universitätsgebäude. Von dessen Balkon aus fiel ich auf den Grund des Mondsees. Eine weite Leere umfing mich, in der Ferne eine leuchtende Kreatur. Rom, the Vacuous Spider, ist ein behäbiges Insekt, ungelenk mit einem klobigen Körper, ein bisschen eklig und dank der prunkvollen Lichter auf dem Rücken auch ein bisschen magisch.

Quelle: kotaku.co.uk

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Was mich aber wirklich verwirrt: Im Gegensatz zu allen anderen Bestien, gegen die ich bislang unter Schweiß und Tränen bestehen musste, greift diese mich nicht an. Bosskämpfe gestalteten sich bislang als Gemisch hektischer Attacken, von denen nicht wenige lebensbedrohlich ausfallen, wütendem Kreischen und donnernder Musik. Stets musste ich aufmerksam sein, schnell reagieren, denn ein Tastendruck zu spät oder zu früh zog zwangsläufig den You Died-Bildschirm nach sich. Rom hingegen sitzt einfach nur so da, schaut ein bisschen dumm aus der Wäsche und ist eine Spinnenmutter.

Mir wäre das gar nicht aufgefallen, wenn ich mich nicht an- und um die Kreatur herum geschlichen hätte, ihre Reglosigkeit beobachtend, ständig in Gedanken fragend: Tut es etwas? Greift es mich an? Was will es? Bestimmt setzt doch gleich eine Cutscene ein und aus des Ungetümes Rücken platzen acht Tentakel! Doch nichts dergleichen passiert. Es sitzt einfach nur da, auf dem Grund des Mondsees und tut niemand nichts. Bloodborne ist ein wahnsinnig blutiges Spiel, besteht fast nur aus Kampf und Gemetzel, doch wie ich da so stand, fiel es mir zum ersten Mal wirklich schwer, meine Klinge in das Fleisch des klobigen Insektes zu schlagen. Vielleicht wollte ich mich gern als Held sehen und die Stadt vom Übel befreien – so ist es ja eigentlich immer. Aber Rom, die ausdruckslose Spinne, tat mir kein Übel. Sie kommunizierte nicht; sie war einfach nur da.

Nach sorgfältiger Erkundung zeichnete sich allerdings keine andere Interaktionsmöglichkeit ab; weder mit der Mutterspinne noch irgendwo am Rande des Horizontes und es kam, wie es kommen musste: Ich lande einen saftigen Präventivschlag, Schwert in Spinnenfleisch. Die Kreatur scheint Notiz von mir zu nehmen, windet sich und es regnete dutzende agiler Spinnen. Ich springe zurück, muss doch ausweichen und als ich aus einigen Metern Entfernung die nervösen Spinnen krabbeln sehe und mir klar wird, dass ich mich gerade eben mitten unter ihnen befand, da wird es mir im Rücken so komisch kalt und ich realisiere, dass ich mich höllisch ekle. Für einige Sekunden stehe ich unbewegt da, starre auf die kräftigen Spinnen, ihre Reflektionen im Wasser, ihre fleischigen Körper und unüberschaubaren Beine. Ich versuche mich zu beherrschen.

Quelle: twinfinite.net

Quelle: twinfinite.net

Der Kampf selbst ist nun keine außergewöhnliche Herausforderung. Zwar richten die Spinnen Schaden an – teils gar verheerend – und im Verlaufe gestaltet sich die Auseinandersetzung zunehmend schwerer. Allerdings kämpfe ich eher mit der Überwindung meines persönlichen Ekels als mit meiner schwindenen Lebensenergie, denn die Spinnen reagieren eher defensiv. Der Ekel und dessen Überwindung, mit der ich in den letzten Minuten beschäftigt war, weicht nun dem Mitleid, als mir klar wird, dass die Spinnen lediglich versuchen, ihre Mutterspinne zu beschützen. Bewege ich mich nach links, tun sie es auch. Sie kommen mir von alleine aber nicht näher, sondern weichen eher zurück. Sie sind nicht aggressiv – sie möchten überhaupt keinen Ärger. Und so kommt es, dass ich zwar die Leibeskräfte von Rom beständig reduziere, doch jeder Hieb und Stich verletzt auch mich ein wenig und ich beginne mich zu fragen, warum ich das eigentlich tue. Ich schlachte ein Muttertier, einfach weil es da ist.

Als die Spinne nach einigen Minuten zu Boden geht und der Kadaver sich aufzulösen beginnt, bleibt eine Gestalt im weißen Kleid samt Schleier zurück. Ich trete näher und sehe, dass Rom eine Frau ist; eine Frau im Hochzeitskleid mit einer blutigen Wunde an ihrem Unterleib. Wie die Kreatur, auf die ich vor wenigen Augenblicken einschlug, steht sie da, vollkommen unbeweglich, die Hände vor der Brust gefaltet. Ihrem Blick folgend beobachte ich den Mond, wie nahe er ist und sich langsam unter ertönendem Babygeschrei Rot färbt. Kein einziges Wort sprechen wir.

Quelle: kotaku.co.uk

Quelle: kotaku.co.uk

Der rote Mond begleitet mich fortan durch die weiteren Stunden meines digitalen Abenteuers. Und selbst, wenn ich jetzt am Fenster stehe, der Controller auf dem Teppich liegt und ich in die Nacht schaue, denke ich daran, wie der Mond unter den Himmelsgestirnen ein Kind ist.

Kein einziges Wort haben wir gesprochen und mich überkommt dieses unerträgliche Gefühl, etwas Schweres relativ leicht geschafft zu haben – aber ob das gut ist, daran zweifle ich.

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Über Stefan Heinrich Simond

Stefan Heinrich Simond (shs) publiziert und unterrichtet im Bereich der Game Studies am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Er promoviert zur Konstruktion psychischer Krankheiten und psychiatrischer Institutionen in digitalen Spielen, ist Chefredakteur bei pixeldiskurs.de und hostet den wöchentlichen Pixeldiskurs-Podcasts.