Themenreihe: Potenziale und Grenzen von Nintendo Labo

‚Nintendo macht nun viel Geld mit Pappe.‘ Das war zu der Zeit nach der Ankündigung von Nintendo Labo für die Nintendo Switch wohl mit Abstand das Lieblingsnarrativ vieler spieleaffiner Magazine, Autor_innen und YouTuber_innen – ‚Pappe‘ ihr Lieblingswort für Wortwitze und Klicks. Das hat sich inzwischen zum Glück etwas geändert, denn immer wieder der gleiche Witz wird doch irgendwann langweilig. Auch wenn es am Ende tatsächlich Pappe ist. Stattdessen hat Nintendo Labo nun einen Platz in der Spielewelt eingenommen, der zwischen Kuriosität, Spielerei und Familienaktivität schwankt. Belächelt wird es aber immer noch gerne.

Warum also der Pappe nochmal etwas Aufmerksamkeit schenken? Nun, der Hype ging so schnell wieder, wie er kam. Verkauft hat sich an die breite Masse vor allen Dingen eine technische Idee bzw. ein Internetphänomen, das zu Verwunderung und Rätseln anregte. Tatsächliche Zielgruppe seien aber, selbst laut des Präsidenten von Nintendo zu der Zeit, Tatsumi Kimishima, Eltern und ihre Kinder.[1] Entsprechend seiner Kurzlebigkeit erhielt Nintendo Labo zwar viel Aufmerksamkeit, rezensiert wurde es aber mit ebendieser im Hinterkopf – und der Kernfrage: Taugt es auch als richtiges Spiel oder ist es nur eine elaborierte Minispielsammlung?

Über die letzten Wochen hinweg hat sich eine Gruppe von uns, dem Studentischen Game Studies Kolloquium der Philipps-Universität Marburg, näher mit dem Nintendo Labo: Multi-Set (2018) beschäftigt, und wir sind überrascht, dass es fast durchweg als eine Einheit rezensiert wurde, obwohl verschiedenste Beschäftigungsmodi vorliegen. Auch deshalb werfen wir einen Blick zurück und schauen uns die einzelnen Bereiche nacheinander an, gehen den bastelbaren Interface-Erweiterungen der sog. Toy-Con auf die Spur und blicken mit etwas weniger Hype und Parodie auf die beiliegende Spiel-, Lern- und Programmiersoftware.

Die Ergebnisse unserer Spielesessions und Diskussionen über das Nintendo Labo: Multi-Set werden im Laufe der nächsten Tage auf diesem Blog veröffentlicht. Eine Übersicht aller Beiträge befindet sich am Ende dieses Einführungsartikels, der ein paar Grundfragen klären soll.


Warum ausgerechnet das Nintendo Labo: Multi-Set?

Zum aktuellen Zeitpunkt sind bereits zwei weitere offizielle Sets erhältlich: das Robo-Set (2018) und das Fahrzeug-Set (2018), die jeweils auch einen anderen spielerischen Fokus mit sich bringen. Ihre monothematische Ausrichtung ermöglicht zwar eine zielgerichtete Entwicklung der Spielesoftware – das Multi-Set bleibt aber unangefochten, wenn es darum geht zu zeigen, wie vielseitig Nintendo Labo sein soll. Nicht umsonst hat der Ankündigungstrailer zu Beginn dieses Jahres dem Multi-Set besonders viel Aufmerksamkeit eingeräumt: Es veranschaulicht die Grundidee und verblüffte zu der Zeit, besonders über das einführende Klavier, mit seinen Funktionen.[2]

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=P3Bd3HUMkyU?version=3&rel=1&fs=1&autohide=2&showsearch=0&showinfo=1&iv_load_policy=1&wmode=transparent]

Dabei nutzen diese bastelbaren Toy-Con die Techniken der Switch-Controller, die sogenannten Joy-Con. Verschiedene Bewegungssensoren, Tasteneingaben und Infrarot mit reflektierenden Stickern sorgen dafür, dass die ansonsten weitgehend leeren Papphüllen überhaupt funktionieren. Und ein paar Schnüre, Gummibänder und Plastikringe tragen ebenfalls zu Funktion oder Ästhetik bei.


Welche Perspektiven und Ziele verfolgt die Themenreihe?

Die Autor_innen der Themenreihe haben sich einzeln sowie in gemeinsamer Diskussion mit dem Nintendo Labo: Multi-Set beschäftigt. Verschiedene Personen haben sich dabei primär den unterschiedlichen Bereichen – Basteln, Spielen, Lernen und Programmieren – gewidmet, um diese fokussiert betrachten zu können. Dabei gibt es für die Beiträge keine strikte Form, die Autor_innen lassen ihre persönlichen Erfahrungen bei der Einschätzung einfließen, um individuelle Perspektiven zu schaffen.

In Reihenfolge der Veröffentlichungen werden zunächst Cynthia Wolf und Tessa Eigenbrod ihre Erfahrungen mit dem Bastelprozess und den spielerischen Anwendungen präsentieren und dabei mitunter fragen: Wer ist eigentlich die Zielgruppe von Nintendo Labo? Besondere Aufmerksamkeit schenkt Tessa Eigenbrod danach dem „Entdecken“-Bereich, einer beigefügten Lernsoftware im Chat-Format, die sich mit der Technik hinter den Toy-Con auseinandersetzt. Alexander Michaelis fragt sich schließlich, ob das Labo-Klavier seine Motivation, ein Instrument lernen zu wollen, auf unkonventionelle Weise auffangen kann. Und zum Abschluss untersucht Vadim Wuckert die Möglichkeiten und Einschränkungen der Toy-Con-Werkstatt, die ein eigenständiges Programmierinterface für Nintendo Labo bietet.

Das Ziel dieser Themenreihe ist es, Nintendo Labo nicht nur wie ein Spiel zu rezensieren, sondern den unterschiedlichen Betätigungsmodi einzeln Aufmerksamkeit zu schenken, diese zu analysieren und in dem, was sie anstreben zu tun, zu evaluieren. Dieses Vorgehen ergibt sich, weil wir glauben, dass Nintendo Labo mehr als die Summe seiner Teile ist und im oben erwähnten Strudel aus Hype und Parodie die Potenziale seiner Bestandteile zu kurz gekommen sind.

Wir wünschen eine angeregte Lektüre!


Übersicht aller Beiträge zur Themenreihe:


Quellen:

[1] Vgl. Tatsumi Kimishima: „The 78th Annual General Meeting of Shareholders. Q & A Summary“. Nintendo. URL: https://www.nintendo.co.jp/ir/pdf/2018/qa1806e.pdf. S. 2.

[2] Bereits im Januar wie auch nach Release im April entstanden diverse populärkulturelle Artikel auch abseits von dedizierten Gaming-Magazinen, die etwaige Verwunderungen über die Funktion der Toy-Con aufgriffen und deren Technik (meist hochlobend) erklärten. Vgl. als Beispiel: Eike Kühl (2018) auf Zeit.de (https://www.zeit.de/digital/games/2018-01/nintendo-labo-switch-konsole-zubehoer); Paul Meekin (2018) auf Heavy.com (https://heavy.com/games/2018/01/nintendo-labo-piano-works-how-switch/); Daniel Blum (2018) auf Faz.net (http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/digital/nintendo-labo-im-test-auf-die-pappe-fertig-los-15561761.html).

avatar

Über Alexander Henß

Alexander Henß (ah) studierte den M.A. Medien und kulturelle Praxis an der Philipps-Universität Marburg. Er hat eine ausgeprägte Leidenschaft für Indie Games. Überhaupt schaut er sich aber gerne mal alles an, mag dann auch manches, stellt Thesen auf und sammelt Eindrücke.