Architektur – Welt – Figur

World Building als Sammelbegriff für alle Elemente, die eine fiktive Welt repräsentieren, sie mit Sinn und Leben füllen, sie zu einer echten Welt erbauen, beinhaltet viele Aspekte eines Computerspiels. Daher bietet es sich an, mit einem augenscheinlichen Element zu beginnen: Architektur im Computerspiel, denn Architektur umgibt als gebauter Raum die wichtigsten Lebensbereiche der Menschen – sei es lediglich als einsame, abgelegene Hütte, als hoch geschossene Tempel modernster Baukunst in den Metropolen der Welt, als die Landschaft durchmessende Spur von Zivilisation oder als das Auge ergötzender Schlosspark. Im Folgenden wird allerdings kein kunstgeschichtlicher, sondern im ersten Schritt ein beschreibender, formal-ästhetischer Ansatz gewählt werden, der bekannte Darstellungsmodi von Architektur im Computerspiel vorlegt. Als gebauter Raum formt Architektur auf seiner spielweltlich-materiellen Ebene zunächst das Auge ansprechend ein Bild der spielbaren Welt.


Links: Tennis for Two; rechts: Super Mario Bros.

Man kann nicht gerade behaupten, dass akkurate Architekturdarstellungen seit jeher für Computerspiele relevant waren. Frühe Spiele, wie das noch auf einem Analogrechner laufende und auf einem Oszilloskopen ausgegebene Tennis for Two (1958), bezieht sich zwar inhaltlich auf den Tennissport, doch die Darstellung des Spielfeldes ist so abstrakt, dass lediglich der Titel des Spiels auf den Inhalt schließen lässt. So verhält es sich ebenfalls mit Spielen wie Pong (1972) oder Breakout (1976).

Detaillierte bzw. ikonische Darstellungen von Architektur ließen sich bis zu den 1980er Jahren nicht zufriedenstellend bewerkstelligen. In dieser Zeit bot sich jedoch auf verbalem Wege die Gelegenheit, grafische Schwächen von Computern auszugleichen. Sogenannte Textadventures basieren auf reiner Texteingabe und -ausgabe und benötigten von daher keine grafische Oberfläche. Obwohl damit freie Gestaltungsmöglichkeiten gegeben wären, nutzten die Autor/innen dieser Spiele das Potential für ausführliche und atmosphärische Beschreibungen der Umgebung allerdings kaum. So heißt es bspw. zu Beginn von Adventure (1973): „You are standing at the end of a road before a small brick buildung. Around you is a forest. A small stream flows out of the buildung and down a gully.“

Ähnlich dürftig führt Zork (1980) die Spieler/innen in die Spielwelt ein: „You are standing in an open field west of a white house, with a boarded front door. There is a small mailbox here“. Es mag sich der Verdacht aufdrängen, dass Textadventures aufgrund ihrer Detailarmut nicht mehr die Verbreitung wie in den 1970 und 1980er Jahren erfahren. Doch Faulstich (1993: 123) vermutet, dass die Gründe eher bei den Sprachbarrieren, bei nicht fließend englisch sprechenden Spieler/innen und/oder beim Frustrationserleben durch die ohnehin sehr eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten und die buchstabengenaue Eingabe von Kommandos zu finden sind.

Ein weiterer und wohl der wichtigste Aspekt wird bei Faulstich allerdings nicht genannt: Bilder unterscheiden sich vom abstrakten Wort durch ihre Konkretheit, die sich in ihrer Ikonizität, ihrer Ähnlichkeit zum Objekt, manifestiert und damit leichter verarbeitet und entschlüsselt werden können als geschriebener Text (Doelker 1997: 52ff.). Es mag an der Rhetorik von Computerspielen liegen, dass sich im Laufe ihrer Weiterentwicklung mit Bildern eine entsprechend leichter verständliche ‚Sprache‘ etabliert hat. Doch Grau (2001) verweist auf die allgemeine Tendenz jeglicher Kunstgattung, sich in ihren Möglichkeiten stets dem äußeren Erscheinungsbild dessen, was darzustellen ist, möglichst anzunähern, um die Trennlinie zwischen Virtualität und Realität zu überbrücken. Diese Entwicklungslinie lässt sich (von der Malerei in Form des Trompe l’oeil über die Fotografie in Form stereoskopischer Fotos bis hin zum Film in Form des komplett ausgefüllten Sichtfeldes in IMAX-Kinos oder der Einbeziehung des Riechsinns im Sensorama) mehrere Jahrhunderte nachverfolgen. Künste, so lässt sich sagen, loten ihre Möglichkeiten aus, um die Distanz von Abgebildetem und Abbildung zu minimieren und die Nähe von Virtuellem und Realem zu maximieren.

Mit zunehmender grafischer Leistung der Hardware ließ sich die Ikonizität der Spielwelt erhöhen und die Spieler/innen visuell direkter ansprechen. Dabei bedienten sich Computerspiele zunächst häufig einer Seitenansicht oder einer Aufsicht auf die Spielwelt. Pac-Man (1980) konstruiert durch den orthogonal-senkrechten Blick auf das Spielfeld eine grundrissartige Darstellung des Labyrinths und damit eine Architektur, die ohne Referenzen durch Titel, Spielanleitung oder andere Paratexte für sich sprechen konnte. Dem Blick von oben auf das Spielfeld steht jedoch die Seitenansicht auf die Spielfigur und die Frontalansicht auf die gegnerischen Figuren gegenüber. Diese perspektivische Inkonsistenz mag zwar noch einer Annäherung an die oben erwähnte, gewünschte perfekte Nachbildung der außerhalb des Monitors befindlichen Welt widersprechen, fördert aber das Verständnis der Einzelelemente wie Spielfeld und Figuren (Schwingeler 2008: 110ff.).

Dass ein Grundriss jedoch aufgrund seiner reduktionistischen Darstellungsweise gerade den ungeübten Betrachter/innen kaum Auskunft über die Art eines Gebäudes und damit über dessen äußere Gestalt geben kann, zeigt die Verquickung von Titel, Titelbildschirm und Spielfeld in Castle Wolfenstein (1981). Während es für Pac-Man-Spieler/innen höchst unbedeutend ist, welche Art von Bau sich über dem Labyrinth erhebt, fordert die Narration von Castle Wolfenstein, dass sich die Spieler/innen darüber bewusst sind, dass man die Spielfigur durch ein Schloss bewegt, das zur Illustration im Titelbildschirm im Aufriss gezeigt wird. Im Spiel selbst findet sich die Integration mehrerer Perspektiven (Mauern und Treppen im Grundriss, Figuren in Seitenansicht, Gegenstände beinhaltende Kisten in Kavalierperspektive) wieder, um den Spieler/innen das Verständnis der räumlichen Gegebenheiten zu erleichtern.

Links: Castle Wolfenstein; rechts: Fairlight.

Eine weitere häufig verwendete Art, die Welt im Computerspiel darzustellen, ist die Seitenansicht. Diese Perspektive auf das Spielgeschehen hat zwei Vorteile gegenüber der Aufsicht: Zum einen ist im Aufriss dargestellte Architektur oftmals leichter zu erkennen. So wären die Schlösser bei Super Mario Bros. (1985) im Grundriss nicht ohne weiteres als solche zu bestimmen, sind Menschen es doch als an den Boden gebundene Lebewesen eher gewöhnt, Gebäude von der Seite denn von oben zu betrachten. Zum anderen bietet die Seitenansicht die Möglichkeit, auf einer rudimentären Basis Tiefe darzustellen. Wenn die Figuren und Gebäude in Super Mario Bros. auf der Blickachse der Spieler/innen liegen, verdecken die Figuren einen Teil der Gebäude. Dadurch wird eine Zweiteilung des Spielfeldes in Vorder- und Hintergrund impliziert. Diese räumliche Differenzierung wird in späteren Spielen durch Parallax-Scrolling   verstärkt, das auf dem optischen Phänomen der Bewegungsparallaxe beruht, sodass die räumlich näher an den Spieler/innen gelegenen Ebenen schneller am Auge vorbeiziehen als entferntere. Der Raum wird scheinbar in der Tiefe ausgedehnt.

Auch wenn durch das Verwenden diverser optischer Tricks wie Verdecken oder sich unterschiedlich schnell bewegender Ebenen realweltliches Sehen imitiert wird, so bleibt dennoch ganz offensichtlich, dass Raum und Architektur in diesen Spielen nur in zwei räumlichen Dimensionen abgebildet werden. Eine einfache und oftmals verwendete Methode, um die dritte Koordinatenachse in ein Computerspiel einzubeziehen, findet sich in axonometrische Parallelprojektionen nutzenden Spielen wie Paper Boy (1984), das die Spieler/innen den titelgebenden Zeitungsjungen auf seinem Fahrrad durch eine in Kavalierperspektive dargestellte amerikanische Vorstadtsiedlung fahren lässt oder Fairlight (1985), in dem die Spieler/innen aus einer isometrischen Perspektive auf das Innere einer zu erforschenden Burg blicken.

Den oben erwähnten Spielen und deren unterschiedlichen Methoden – Text und Projektion –, die Spielwelt darzustellen, mangelt es trotz ihrer Bemühungen, Raum zu repräsentieren, unübersehbar an einem realweltlichen optischen Phänomen: dem Fluchtpunkt. Um realweltliche Sehgewohnheiten möglichst authentisch nachzuahmen, müssen räumliche Objekte in ihrer Tiefe auf einen gemeinsamen Punkt konvergieren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch zentralperspektivisch konstruierte Bilder ihren Weg in Computerspiele gefunden haben. Typische Beispiele für diese Form der Darstellung sind Spiele aus der Ich-Perspektive wie Doom (1993) oder Mirror‘s Edge (2008). Da die an den Blickpunkt der Spielfigur gebundene Perspektive nicht Bedingung für diese Kategorie der Darstellung ist, müssen ebenfalls Spiele wie Resident Evil (2002) oder die Assassin‘s Creed-Reihe (2007-) hinzugezählt werden.

Von den oberflächlichen, sinnlichen Qualitäten von Artefakten im Allgemeinen und Architektur im Speziellen, begeben wir uns nun zu den verborgenen, funktionalen Qualitäten der Architektur, die von der Welt, in der man sich bewegt, berichten. Um dieses weniger sichtbare Element des World Building offenzulegen, bietet es sich an, ein konkretes Beispiel heranzuziehen. Daher werfen wir nun einen Blick auf den Beginn von The Elder Scrolls III: Morrowind (2002).

Links: Resident Evil; rechts: Mirror‘s Edge.

Die Spielfigur erwacht als Gefangene/r im Bauch eines Schiffs, wird vom Wachpersonal freigelassen und erhält von den Spieler/innen Namen, Aussehen und Fertigkeiten. Als zum Individuum gewordene Figur (sei es als Nord, Ork oder ein/e Angehörige/r der anderen wählbaren Völker) dürfen sich Spieler/innen und Figur frei durch das Dorf Seyda Neen bewegen. Man findet Wohnhäuser, ein eine Taverne und ein Geschäft beherbergendes Gebäude und einen Leuchtturm. Diese architektonischen Gegebenheiten sind freilich nichts Außergewöhnliches für ein Fantasy-Rollenspiel – und doch werden damit bereits so sichtbar Informationen über Seyda Neen (und indirekt über die Insel Vvardenfell) vermittelt, dass sie unsichtbar sind, weil sie aufgrund ihrer Gewohnheit nicht auffallen.

Die bloße Anwesenheit von Architektur ist Zeichen davon, dass die entsprechende Welt von Wesen bewohnt wird, die Wissen von Statik und Verwendbarkeit von Baumaterialien als auch die Kunstfertigkeit besitzen, dieses Wissen umzusetzen. Je komplexer und moderner die Bauten, desto differenzierter muss das Wissen als auch die Kunstfertigkeit sein, wobei auch Aspekte abgedeckt werden müssen, die nicht ursprünglich dem Bau von Gebäuden zuzusprechen sind. So sollte ein Feuer im Haus möglichst in einem Kamin gemacht werden und nicht willkürlich in einer Ecke des Hauses, damit die bekannte Rauchentwicklung nach außen geleitet werden kann und die Behaglichkeit der Wärme nicht in der Unbehaglichkeit einer Rauchvergiftung mündet.

Die Bewohner/innen Seyda Neens sind offensichtlich standortgebundene Wesen, da sie auf leicht auf- und abzubauende Wohneinheiten wie Zelte verzichten und sich stattdessen auf wind- und wetterresistente Wohnhäuser aus Holz, Lehm und Stein verlassen. Mit der Bindung an eine ‚schwere‘ Architektur, die sich nicht von Ort zu Ort transportieren lässt, wird das Leben an einem Ort verankert und findet letztendlich in der Benennung dieses Ortes (Seyda Neen) ihren Ausdruck. Gesellschaft und Kultur werden örtlich verwurzelt.

Im Haus von Arrille, das im Erdgeschoss ein Geschäft und im Obergeschoss eine Taverne beherbergt, werden weitere Elemente einer gewachsenen Kultur und Gesellschaft ausgestellt. Im Laden werden Waren nicht gegen andere Waren getauscht, sondern mit Münzen bezahlt. Neben der Tatsache, dass sich die Bewohner/innen auf eine gemeinsame Währung und der Anerkennung deren Symbolwerts geeinigt haben, wird auch hier wieder der Umgang mit Naturmaterialien zur Schau gestellt. Münzen müssen schließlich gegossen oder geprägt werden. Man hat den Wandel von einer konkreten Tausch- zu einer einen Wert repräsentierenden Währung nutzenden, symbolischen Wirtschaft vollzogen.

Eine Etage darüber, also in und durch die Taverne, artikuliert sich zunächst der Bedarf eines öffentlichen Raums für Austausch und Geselligkeit. Gemeinschaft wird durch das gezielte Zusammenkommen an einem gemeinsamen Ort ermöglicht. Damit wird eine Gesellschaft offenbart, die Territorien der Privatheit (Wohnhäuser) als auch der Öffentlichkeit (Taverne) absteckt. Die Opposition von Privat- und öffentlichem Raum formiert sich am konsequentesten in verschlossenen Türen, auf die man in Seyda Neen stößt. Den verschiedenen Territorien kommen entsprechend verschiedene Funktionen zu (Hennig 2017: 68f.), die eine/n Bewohner/in zu einem Teil eines Ganzen, aber auch zu einem Individuum machen. Doch in der Taverne lässt sich auch ein Vertrag finden, der die Details der Vermietungsrechte und -pflichten Arrilles klarstellt. Recht ist institutionalisiert und basiert offensichtlich auf juristischem und gesellschaftlichem Konsens, während das Recht des Stärkeren auf jenseits der Dorfgrenzen verbannt ist: Gebauter Raum ist kein rechtsfreier Raum.

Abschließend adressiert der Leuchtturm den Willen der Bewohner/innen und der Obrigkeit des Dorfs, für die Sicherheit einlaufender Schiffe zu sorgen, als auch die Geisteshaltung, das gleichmäßige Leben im Dorf zu bewahren. Denn die Landung von Transport- und Passagierschiffen wird durch den leitenden Schein der Fackel sichergestellt. Zugleich wird damit weiterhin eine Einstellung der vernunftbegabten Bewohner/innen gegenüber der Natur hervorgehoben: Kann man die Natur nicht bändigen oder gar ausnutzen – wie es bei der Verwendung von Rohstoffen für Schwerter, Rüstungen, Häuser etc. geschieht –, so macht man sich doch wenigstens von Gegebenheit wie der Dunkelheit der Nacht unabhängig, die die Natur unbeeinflussbar auferlegt, so dass Schiffe unabhängig von der Tageszeit eintreffen können.

Die Architektur Seyda Neens berichtet folglich vom erfüllten, gebauten Wunsch nach Sicherheit sowie von Unabhängigkeit, kulturellem und technischem Wissen als auch von gesellschaftlichem Ordnungssinn. Allerdings basieren diese Ausführungen auf der Perspektive eines gesellschaftlichen Apriori: Gesellschaft kommt vor Architektur; Architektur ist ein der Vorstellung der Gesellschaft nachfolgendes Gebilde, das lediglich soziale Bedürfnisse und Notwendigkeiten abbildet. Bourdieu (1974, zitiert nach Delitz 2009: 38) sieht jedoch eine Wechselwirkung: Architektur spiegelt auf die Gesellschaft als Ganzes und auf das Individuum als Einzelnes. Das Spiegelbild der Architektur (ebd.; vgl. auch Bourdieu & Wacquant 1996: 161) liegt jedoch nicht materiell vor, sondern äußert sich in Verhaltenstendenzen und -präferenzen des Individuums: dem Habitus. Der Habitus ist damit auch ortsleitender Einfluss auf das Individuum, indem er an diese Orte führt und jene Orte meiden lässt. Architektur erweist sich damit als aktueller Ausdruck von Vergangenheit ebenso wie als Eindruck auf die Zukunft, da sie als ausgestellte Vergesellschaftung unter anderem das Bild prägt, das man von der Gesellschaft und dem eigenen Platz darin hat.

Selbst-Werdung in Morrowind: Landungssteg und Amtsstube des Zensus.

Starten wir aber Morrowind noch einmal von vorne: Wir befinden uns wieder unter Deck, unsere Spielfigur, noch namenlos, muss zunächst benannt werden, damit sie in der Welt greifbar wird. Auf dem Landungssteg ordnen wir unserer Figur Rasse, Geschlecht und Aussehen zu, bevor es in eine Amtsstube geht, wo Sternzeichen und Fertigkeiten gewählt werden. Wir geben damit unserer Figur eine Disposition, ihr Schicksal steht jedoch noch offen. Erst wenn die Grundstruktur unserer Figur fertiggestellt ist, wird sie in die Welt entlassen.

Das räumliche Prozessieren der Figurenerfindung erweist sich nicht von ungefähr als symbolische Geburt: Aus den Tiefen des Schiffsbauch, zum ordnungstiftenden Moment der äußerlichen Merkmale auf dem Landungssteg hin zum bürokratischen Akt im Amt, während dem die Figur mit für die Spieler/innen zum Vorteil gereichenden Fertigkeiten ausgestattet wird. Die Figur wird durch den Übergang vom frei flottierenden Ort des Schiffs über den Steg als Verbindung zum Festland hin zur Ausgangstür des Amtsgebäudes immer greifbarer, doch ihre Disposition prädeterminiert ihr Schicksal nicht: Der Figur werden für ihre Reise keine Handlungszwänge, sondern Handlungsmöglichkeiten mitgegeben. Hier lässt sich an Bourdieus Habitus-Konzept anknüpfen und anhand verschlossener Türen in Morrowind endlich klären, inwiefern neben der gegebenen Architektur ein weiterer Aspekt des World Building im Spiel realisiert wird.

Eine verschlossene Tür hält die Spielfigur zunächst vom Eintreten in einen anderen Raum ab. Das Wechselspiel von Figurenfertigkeiten, Umgebungseigenschaften wie Tag oder Nacht und der Spieler/innen-Charakter (bzw. die Spielweise der Spieler/innen) führen dazu, ob die Privatsphäre respektvoll akzeptiert wird, ob es zähneknirschend hingenommen wird, dass der nächste Raum nicht zugänglich ist, oder ob das Schloss geknackt wird. Versteht man World Building als Konzept des möglichst reichen Ausgestaltens einer fiktiven Welt – was ausformulierte Figuren beinhaltet – fällt ein erstaunliches Paradoxon ins Auge: die eigene Spielfigur. Denn mag sie noch so eine komplexe Vorgeschichte, zahlreiche Fähigkeiten, soziale Beziehungen besitzen und restlich detailliert charakterisiert sein, so ist ihr Habitus in den spielbaren Sequenzen letztendlich die große Leerstelle eines Spiels.

Das ist natürlich kein Wunder, denn diese Leerstellen sind die Variable, die das Spielen überhaupt ermöglichen, über die die gegebene Freiheit im Spiel realisiert wird. Und es darf natürlich nicht übersehen werden, dass dieser spielerische Habitus auch von Spielzielen forciert wird. Denn wenn man mit der Spielfigur in Morrowind bspw. der Diebesgilde beigetreten ist, wird sich die Tendenz zum Stehlen und Schlösserknacken deutlich verstärken. Doch damit wird eine Variable in der Welt des Spiels ausgefüllt, auf die man in nicht interaktiven, fiktiven Welten gar keinen Zugriff hat. World Building enthält damit in Computerspielen ein nicht prädeterminiertes Element, das nicht allein von Programmierer/innen bestimmt wird und World Building zu einem partizipativen Akt werden lässt: Spieler/innen erkunden nicht nur die Spielwelt, sondern formen sie mit.


Literaturverzeichnis:

Bourdieu, P. & Wacquant, L. J. D. (1996). Reflexive Anthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Delitz, H. (2009). Architektursoziologie. Bielefeld: transcipt.

Doelker, C. (1997). Ein Bild ist mehr als ein Bild: visuelle Kompetenz in der Multimedia- Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta.

Faulstich, W. (1993). Von Trollen, Zauberern, der Macht und anderen wundersamen Abenteuern. Kleine Einführung in interaktive Computer-Märchen. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik LiLi, 92, S. 96-125.

Grau, O. (2001). Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart: visuelle Strategien. Berlin: Reimer.

Hennig, M. (2017). Spielräume als Weltentwürfe. Kultursemiotik des Videospiels. Marburg: Schüren.

Schwingeler, S. (2008). Die Raummaschine – Raum und Perspektive im Computerspiel. Boizenburg: vwh.

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Über Martin Janda

Martin Janda begann seine Zockerkarriere auf dem C64, er kannte sogenannte Retrogames also schon, als sie noch „state of the art“ waren – daher ist er vermutlich selbst als „retro“ zu bezeichnen. Zu sehr mit Spielen beschäftigt, brach er erfolgreich das Gymnasium ab und kam damit einem Rauswurf zuvor. In der Folge tingelte er mal als Zivi, mal als unterbezahlter Jobber umher, wobei er auch Zwischenstation bei Nintendo als Spieletester machte. Hier durfte er noch vor dem Rest der Menschheit einen ersten Blick auf die Wii werfen, was ihn noch heute übertrieben stolz macht. Mittlerweile studiert er Psychologie (um sich selbst zu therapieren natürlich) und Medienwissenschaft (um klug zu wirken).