ECHO: Behaviorismus als Widerhall

Ein Echo ist nicht nur ein bekanntes physikalisches Phänomen, das die Ausbreitung eines Tons oder Geräuschs in Wellen und den anschließenden Widerhall an seinen Ursprungsort definiert, sondern ebenso die Repetition lyrischer Figuren in der Literatur. Die Mythologeme der griechisch-römischen Antike und deren Geschichten vom Waldgott Pan und der Oreade Echò und der Nymphe Echò und dem göttlichen Jüngling Narkissos bieten eine Erklärung des Phänomens des Widerhalls als Naturecho. In beiden Geschichten ist die Stimme der Echò eine weibliche, die aufgrund ihres nicht realisierbaren Liebesverlangens als klagende Figur illustriert wird.[1]

Doch als eine weniger klagende, eher besonnene und entschlossene Stimme, erklingt die der Hauptspielfigur En des Third-Person Science Fiction Adventures ECHO des Entwicklerstudios Ultra Ultra. Unrealisierbar erscheint auch ihr Verlangen, den Tod ihres Freundes Foster ungeschehen zu machen. Dabei soll ihr ein roter Würfel, der den Körper und Geist des Verflossenen enthält, behilflich sein. Nach einem 100-jährigen Dornröschenschlaf und einer damit verbundenen langen Reise im Hyperschlaf, erwacht En im Inneren eines Raumschiffs aus ihrer Stasis. Auf einem namenlosen weiß-schimmernden Planeten vermag die Erfüllung des Verlangens in greifbarer Nähe zu liegen. Doch hat sie Liebe hierher geführt?


Es ist nicht die Stimme, die hier widerhallt

Über die Frage ihrer Motivation gibt die Exposition des Spiels nur wenig Aufschluss. Auch über den Ursprung der stets wiederkehrenden Stimme, die En via Funkgerät begleitet, werden nur wenige Informationen bereitgestellt. So erscheint der Spielverlauf als Analogie zur Ergründung der Narration von ECHO. Auf besagtem Planeten angekommen, steigt En durch eine Falltür in das maschinenhafte Innere des Planeten und findet schließlich den Eingang zu einem barocken Palast, der das gesamte Planeteninnere durchzieht. Ein Palast einer vergangenen Zivilisation, wartend auf menschliche Bewohner: Die Findigen, die einer höheren Spezies Mensch angehören und zu denen sich En zählen kann. Durch das dunkle Innere des Palastes hallt zunächst lediglich Ens Stimme bis sie schließlich mit Hilfe des roten Würfels die Energieversorgung des Palastes wieder herstellen kann und somit eine Art Sicherheitssystem in Gang setzt, das nicht etwa Ens Stimme widerhallt, sondern ihren Körper und ihr Verhalten repliziert.

Das Innere des Planeten: Der Palast.

Die identisch in Erscheinung tretenden Gegnerinnen ahmen die Verhaltensweisen der Spieler_innen konsequent nach und erschweren somit das Durchqueren der einzelnen Räume. Dabei verlassen sich diese nicht ausschließlich auf das pure Imitieren gesehener Aktionen der Spieler_innen: Bewegten sie sich zu Beginn des Spiels wie auf festen Routen durch den Palast und mieden etwa Wasser oder konnten nicht über Hindernisse springen, lernten sie in jedem Level-Zyklus hinzu und zeigten im weiteren Verlauf bislang unbekannte Bewegungsmuster auf. Die Level-Zyklen werden durch einen Neustart des Palastes und dem damit verbundenen kurzzeitigen Lichtausfall markiert. Dieser Behaviorismus auf Grundlage des ‚stimulus-and-response‘-Modells[2] gestaltet jeden Durchlauf eines Levels einzigartig und lässt die Spieler_innen durch eigenes Handeln partiell den Schwierigkeitsgrad des Spielerlebnisses mitgestalten. Möchte ich, dass meine Gegnerinnen mich mit einer Laserpistole unter Beschuss nehmen oder durch einen Sprint einholen können? Es ist eine schwere Entscheidung, denn so gewähre ich meinen Gegnerinnen weitere Fähigkeiten, mit denen sie mir das Durchqueren des Levels erschweren können.


Das Katz-und-Maus-Spiel

Jedoch weist das beschriebene Recht auf Mitbestimmung auch Grenzen auf, wie etwa durch das Level-Design: In vielen Abschnitten ist es den Spieler_innen nicht möglich das Beibringen von Bewegungsabläufen oder Verhaltensweisen zu umgehen, somit das Spiel gegen sich auszuspielen und die Gegnerinnen als hilflose Puppen dastehen zu lassen. Einen Level ohne das Berühren einer Wasseroberfläche oder das Abgeben eines Schusses erfolgreich zu durchqueren, ist dementsprechend häufig unmöglich. Auch scheinen die Gegnerinnen Vorteile hinsichtlich ihrer Bewegungsgeschwindigkeit zu haben. Entscheide ich mich etwa dafür, die Sprint-Fähigkeit des Spiels nicht zu verwenden, holen mich meine Gegnerinnen auch im voreingestellten Lauftempo früher oder später ein. Somit beeinflussen die Spieler_innen nicht etwa jede Verhaltensweise der Gegnerinnen, sondern unterliegen klaren Regeln des Spiels.

Die Echos: Ens Gegenspielerinnen.

Dementsprechend trifft auch die Aussage des Redakteurs Justin Clark nur teilweise den Kern des Spielsystems. Clark schrieb am 19. September 2017 in seinem Review auf Gamespot: „ECHO is an intricate game of cat and mouse where the mouse keeps sharpening the cat’s claws.”[3] Auf Grundlage der gemachten Beobachtungen müsse es eher heißen, dass ECHO ein Katz-und-Maus-Spiel ist, in dem die Maus dazu gezwungen wird, der Katze dabei zu helfen, ihre Krallen zu schärfen, obwohl diese es eigentlich nicht nötig hat, da ihre Krallen schon scharf genug sind.

Nichtsdestotrotz bietet ECHO einen neuen Ansatz zur individuellen Gestaltung des Schwierigkeitsgrads und die Involvierung der Spieler_innen, um ein einzigartiges, nicht-repetitives Spielerlebnis zu formen, an dem sich kommende Action-Adventure-Titel ein Beispiel nehmen können. Die spannende Story, die detaillierte Optik und klangvolle Soundkulisse als auch die Synchronsprecher_innen kreieren einen rundum gelungen Indie-Spieletitel, der bereits neugierig auf weitere Entwicklungen des Ultra Ultra-Teams macht.


[1] Berns, Jörg Jochen. Die Jagd auf die Nymphe Echo. Zur Technisierung der Wahrnehmung in der frühen Neuzeit. Ed. Lumière Bremen 2011. S. 139-141.

[2] Bördlein, Christian: „Molarer und molekularer Behaviorismus“. Abrufbar unter: https://verhalten.wordpress.com/2013/01/16/molarer-und-molekularer-behaviorismus/. Zugriff: 05.10.2017.

[3] Clark, Justin: „Attack of the clones“. Abrufbar unter: https://www.gamespot.com/reviews/echo-review/1900-6416762/. Zugriff: 05.10.2017.

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Über Nils Bernd Michael Weber

Nils Bernd Michael Weber schreibt und castet nun schon seit einiger Zeit für Pixeldiskurs.de. Ansonsten hat er eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert, einen Bachelor in Medienwissenschaft abgeschlossen und studiert nun im Master "Medien und kulturelle Praxis" an der Philipps-Universität Marburg. Er behauptet von sich selbst Ästhetiker, Feminist und Kulturkritiker zu sein. Ersteres lebt er in Maßen auf seinem Pinterest-Account aus.