Einer von 30 Millionen: Zwischen Flamern und Frauen

Im April diesen Jahres feierte der Entwickler Blizzard Entertainment mit Overwatch seinen 30 Millionsten registrierten Spielenden.[1] Der Multiplayer-Ego-Shooter ist damit Blizzards „fastest-growing franchise“ und hat somit zu 80% des Umsatzes im Geschäftsjahr 2016/17 des Mutterkonzerns Activision Blizzard beigetragen. Dies entspricht mehr als eine Milliarde US-Dollar.[2] 30 Millionen: „The more, the merrier“, dachte ich mir. Ein Trugschluss. Denn dass sich unter diesen 30 Millionen Angemeldeten nicht immer freundlich gesinnte, auf einen fairen Wettkampf fokussierte Mitspielende tummeln, steht selbstverständlich außer Frage. Overwatchs Spielerlebnis leidet seit Einführung des Titels im Mai 2016 unter einer „toxic community“.[3] Das Community-Mitglied „Calculated“ bringt den Sachverhalt nach nur vier Tagen der Veröffentlichung auf den Punkt. Sämtliche Kommentare von Community-Mitgliedern werden im Folgenden unverändert wiedergegeben:

„Overwatch appears to be incredibly toxic. If you lose a game, you get blasted with toxicity. If you beat them in a game, they blast you with toxicity. Your own team-mates are toxic to one another if anyone says the first word. Why did it become like this 4 days in? And what will you do about it, Blizzard?”[4]

 

Overwatch und die toxische Community

Ein kruder Umgangston sowie plumpe Beleidigungen stehen heutzutage bei jeder Partie Overwatch auf der Tagesordnung, sollten Spielende nicht analog zu den Vorstellungen anderer Mitspielenden handeln. Doch mit dieser Problematik hat nicht nur die Overwatch-Community zu kämpfen. Auch in anderen Spieletiteln wie Counter-Strike (2000) hat der Grad an Hohn und Spott eine dramatische Unverhältnismäßigkeit erreicht, so dass die einzelnen Spielenden dies zum Anlass genommen haben, dem Thema durch spontane musikalische Kompositionen Ausdruck zu verleihen und dieses somit ad absurdum zu führen.[5]

Dass ein besonders rauer Umgangston überwiegend Spielenden aus Russland zugeschrieben wird, sei hier am Rande erwähnt, da dieses Thema zu einer weitläufigen Debatte über Rassismus in digitalen Spielen führen würde, welche bereits an anderen Stellen[6] geführt wird. Neben diesen rassistischen Zügen und dem generell hohen Pensum an diversen Beleidigungen, leidet nicht nur das Spielerlebnis, sondern ebenso der damit verbundene Spaß massiv. Besonders durch den integrierten Voice-Chat wird die Hürde einer ‚schnell herausgeschossenen‘ Beleidigung auf Bodenhöhe gesetzt.

Es ist offensichtlich, dass solche Verhaltensweisen in einem Multiplayer-Ego-Shooter wie Overwatch die Teammoral schwächen und somit zumeist unausweichlich zu einer Niederlage führen. Schon zu Anfang eines Matches können solche Streitigkeiten bei der Auswahl der zu Verfügung stehenden Spielfiguren (Helden/-innen) entflammen und somit die Lust am Spiel von der ersten Minute an zügeln.

Einige lehnen es kategorisch ab, eine in die Helden-Konstellation passende Spielfigur zu wählen. Dieses Verhalten ist zumeist der erste Auslöser für verbale Rangeleien:

„What in the fuck?! No Hanzo!”

„I am a good Hanzo Main.”[7]

„Yeah, every stupid Hanzo says so, you fucker.”

Eine kurze Anekdote am Rande: Es erscheint amüsant, dass solche abwertenden Betitelungen den Sprung auf die Schulhöfe dieser Welt geschafft haben. Obgleich der Ausdruck ‚Hanzo Main‘ keinerlei Wertigkeit besitzt, führt die negative Konnotation zu verletzten Gefühlen unter jüngeren Spielenden sowie hochgezogenen Augenbrauen als auch vereinzeltem Schmunzeln unter den älteren.[8]

Zurück zur Heldenauswahl und einer persönlichen Erfahrung, die ich vor einigen Tagen machen konnte: Nach einem kurzen Gerangel um die passenden Helden, konnten sich alle Teammitglieder auf eine Spielfigur einigen und das Match kann beginnen. Trotz des Gegenwinds hat sich ein Mitspieler nicht nehmen lassen, den Helden Hanzo zu wählen. „Let him be. Maybe’s a good Hanzo“, dröhnt eine dunkle Männerstimme durch den Voice-Chat während das Zeitlimit zur Auswahlphase der Spielfiguren auf null zustrebt. Ich habe mich aus der Diskussion herausgehalten und versuche mich auf das Spiel zu konzentrieren. Zarya ist die Heldin meiner Wahl, für die ich mich nach einigem Drängen eines Mitspielers entschieden habe.

Unser Team kämpft auf der Map Ilios um die Einnahme des Punktes. Die erste Runde läuft hervorragend, da die Helden-Konstellation unseres Teams die des gegnerischen Teams problemlos kontert. Doch unsere Gegner sind natürlich nicht dumm. Zu Beginn der zweiten Runde des Matches warten sie mit einer überarbeiteten Heldenzusammenstellung auf. „Round 2: Lost“, erklingt die Computerstimme der Kommentatorin, die von einer schreienden Männerstimme gebrochen wird: „Zarya, you stupid cocksucker. Why didn’t you shield me? You’re a fucking noob. Change, if you can’t play her.“ Ein Flamer.[9] Ich fange an mich zu ärgern. Habe ich nicht mein Bestes gegeben? Meine Schilde waren gut. Ich konnte Mercy mehr als einmal vor den hakenden Fängen Roadhoags beschützen und auch meine Gravitonbombe in Kombination mit Pharahs Ultimate hat zu einem Team Kill geführt. Warte: Es war dieselbe Stimme, die mich zu Beginn des Matches gedrängt hatte Zarya auszuwählen. Ich öffne mein Mikrophon:

„Excuse me, but didn’t you push me to go Zarya?“

„Yeah, but I didn’t know you were such an assfucker with her. Change to something useful!”

Homosexualität als Beleidigung. Ebenfalls nichts Weltbewegendes in der Welt von Overwatch. Ich halte inne, da sich eine Diskussion mit meinem Mitspieler nicht lohnen wird. Zugleich steigt eine Wut in mir auf, die mich dazu veranlasst, weiterhin mit der Heldin Zarya zu spielen, um seinem Willen nicht gerecht zu werden. „Round 3: Lost“. Es steht 1:2 für das gegnerische Team und ich sehe immer noch nicht ein, warum ich meine Heldin wechseln sollte. Es ist kein netter Zug gegenüber unserem Team, doch mein Ehrgeiz vereinnahmt mich. Ich möchte meinen streitsuchenden Mitspieler Lügen strafen und beweisen, dass ich mit Zarya zu allem fähig bin.

Nach fünf Runden ist es vollbracht. Unser Team hat das Match gewonnen und ich werde mit den meisten Eliminierungen durch fünf meiner Mitspielenden per Votum gewürdigt. Sehr zufrieden mit mir möchte ich gerade die Spielrunde verlassen, als mir erneut meine neue Lieblingsstimme entgegen schlägt: „You’re still a cocksucher, Zarya. Cocksucker!“ Kurz nach dem Verstummen der Stimme und dem Verblassen seines Heldenporträts im Voice-Chat, erklingt eine weitaus klarere Stimme:

„What is your problem? I listened to your aggressive voice for more than 25 minutes, since you are insulting Zarya none-stop. We won and she did a good job. Do random insults make your life brighter? Think about how such rubbish affects other people. By the way: Thanks for the game, Zarya.”

Niemand sagt mehr ein Wort. Disconnected. Freude steigt in mir auf. Jemand hatte sich getraut, die Situation zu deeskalieren. Es war eine Frau. Eine Gamerin.

 

Hoppla, eine Frau!

Die Mystifizierung der Frau als fremdes Wesen in digitalen Spielen ist natürlich längst obsolet. Digitale Spiele gelten schon seit einigen Jahren nicht mehr als „boys‘ toys“.[10] Gehörten digitale Spiele noch in den 1980/90er Jahren zum Erwachsenwerden junger Männer, hatten Frauen oft das Nachsehen.[11] Erhobene Zahlen des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware aus dem Jahr 2014 zeigen, dass die Anzahl von Mädchen und Frauen, die sich mit digitalen Spielen beschäftigen, einen großen Teil der deutschen Gaming-Landschaft ausmacht. So seien von 34,3 Millionen erfassten Spielenden, jeder Zweite eine Frau.[12]

Basierend auf diesen Zahlen müsste die Spielewelt ein ausgeglichenes Geschlechterbild aufzeigen. Doch warum sind nur so wenige Frauen in Overwatch anzutreffen? Eine mögliche Antwort gibt Sabine Hahn, die auf Grundlage vergangener Forschung in ihrer Monographie „Gender und Gaming. Frauen im Fokus der Gaming-Industrie“ Verhaltensmuster und Zugangsformen von Frauen mit digitalen Spielen in sieben Punkten zusammengefasst hat. Laut Hahn sei die persönliche Spielmotivation vorab eine schier andere als bei Männern. Frauen griffen eher zu einem digitalen Spiel, um Zerstreuung, Freude oder Kreativität zu finden. Zudem bevorzugten Frauen andere Plattformen und Genres als Männer. Es seien eher das Smartphone und Online Games, die Frauen eine gelegentliche, lockere Auseinandersetzung mit Simulationen und Rollenspielen ermöglichten. Den Zugang erhielten sie durch ihre männlichen Partner. Hinzu kämen individuelle Präferenzen wie das Identifizieren mit der Spielfigur eines Spiels oder die Möglichkeit, eine eigene Welt aufzubauen. Der im Zusammenhang mit Overwatch wichtigste Punkt ist die gewählte Sozialform. Frauen tendierten dazu, sich allein digitalen Spielen zuzuwenden und den Wettbewerb mit anderen Spielenden zu meiden.[13] Spielerinnen empfänden bei direkten sozialen Wettbewerben weniger positive Emotionen als ihre männlichen Kollegen. Dementsprechend sei die Tendenz digitale Spiele mit kompetitiven Inhalten zu rezipieren nur schwach ausgeprägt.[14]

Anhand dieser wissenschaftlichen Erhebungen scheint es keineswegs verwunderlich, warum eine Frau in der Overwatch-Community eine seltene Erscheinung sei. Der Spieletitel beinhaltet lediglich kompetitive Spiel-Modi, welche die Spielenden repetitiv in zwar wechselnde, jedoch stetig wettkampf-orientierte Spielabläufe positioniert. Doch dies scheint sich nun mit moderneren kompetitiven Spieletiteln zu ändern. Overwatch fungiert hierbei als eine Art Paradebeispiel. Denn bei einer Größe der Community von 30 Millionen registrierten Spielenden kann angenommen werden, dass es sich auch hier um ein 50/50-Verhältnis der Geschlechter handeln wird.

 

Make the (Overwatch) Community Great for Once

Overwatch ist ein hervorragender Multiplayer-Ego-Shooter. Daran lässt sich bei einer Anzahl von 30 Millionen registrierten Spielenden und einem Umsatz von mehr als einer Milliarde nicht rütteln. Allerdings lässt sich auch nicht an der großen Menge von Hass, Spott und Hohn rütteln, dem sich Spielende Tag für Tag aussetzen. Doch vielleicht scheint sich diese Attitüde unter den Community-Mitgliedern bald zu wandeln. Das exemplarisch gewählte Beispiel zur Illustration bezüglich der Spielteilnahme und den Verhaltensweisen von Frauen innerhalb kompetitiver digitaler Spiele sorgte nicht nur für sprachlose Gesichter unter den männlichen Spielenden, sondern könnte auch ein Symptom für eine Wandlung der kompetitiven digitalen Spielekultur sein. Während des Schreibens dieses Aufsatzes konnte ich noch zwei weitere positive Beispiele sichten, die einen aufgeschlossenen und fairen Umgang von Frauen mit aufbrausenden, aggressiven Spielern zeigten. Vielleicht hat die Popkultur Recht und Frauen zeichnen sich doch durch ein höheres Maß an „Soft Skills“ aus.[15] Popkultur hin oder her: Die vergangenen Begegnungen mit dem weiblichen Geschlecht haben mir die Augen geöffnet, bezüglich einer Zukunftsvision einer fairen und sportlichen Overwatch-Community, die mit ruhigem Ton und umfassender Kommunikation erfolgreiche Matches durchführt.

Dieser Artikel soll keinesfalls die Frau als eine sozialere Spielerin glorifizieren. Auch Frauen können aufgrund von zu großem Ehrgeiz einen rüden Umgangston an den Tag legen, wie einige Videoaufnahmen innerhalb von Overwatch beweisen,[16] und somit eine ernstzunehmende Positionierung der Spielerinnen in der Community schwierig gestaltet. Es sei jedoch festgehalten, dass solche Situationen selbstverständlich geschlechtsunabhängig stattfinden. Da Frauen jedoch in der Community noch stark unterrepräsentiert sind, wirken solche Vorfälle als Steilvorlage zur Belustigung durch männliche Spielende und werden auch dementsprechend positioniert. Nichtsdestotrotz wäre es wünschenswert mehr Frauen in der kompetitiven Gaming-Landschaft anzutreffen, da das zuvor geschilderte positive Zusammentreffen, basierend auf meiner Erfahrung, keinerlei Einzelfall ist. Fast täglich treffe ich zielorientierte und an einem fairen Wettkampf interessierte Frauen. Dies mag an Overwatch selbst liegen – oder finden vielleicht immer mehr Frauen Geschmack an den kompetitiven Spielen? Die Zukunft wird zeigen, ob die Overwatch-Community eine wachsende Anzahl von Frauen verbuchen wird, oder der Kompetitivgedanke hinsichtlich der vorausgegangenen präferierten Sozialform des „Alleine-Spielens“ Frauen weiterhin fernhält.


Quellen:

[1] Sarkar, Samit: Overwatch surpasses 30 million players. Polygon. URL: https://www.polygon.com/2017/4/28/15478464/overwatch-player-base-30-million (Letzter Aufruf: 03.06.2017).

[2] Grubb, Jeff: With $1 billion in revenue, Overwatch is Blizzard’s fastest-growing franchise.  Venturebeat. URL: https://venturebeat.com/2017/05/04/with-1-billion-in-revenue-overwatch-is-blizzards-fastest-growing-franchise/ (Letzter Aufruf: 03.06.2017).

[3] Urban Dictionary: “Toxic”. URL: http://www.urbandictionary.com/define.php?term=Toxic&defid=7635319 (Letzter Aufruf: 04.06.2017).

[4] Overwatch-Online-Forum: Community is terribly toxic. URL: https://eu.battle.net/forums/en/overwatch/topic/17611891393 (Letzter Aufruf: 03.06.2017).

[5] Guy gets insulted, accepts insult and makes a song about it. URL: https://www.youtube.com/watch?v=b2XuYND9heI (Letzter Aufruf: 03.06.2017).

[6] YouTube: Exploring Racism in Video Games –  Chadunda. URL: https://www.youtube.com/watch?v=4xsmUutxd28 (Letzter Aufruf: 08:55 Uhr).

[7] Der Zusatz „Main“ weist darauf hin, dass der Spieler/die Spielerin hauptsächlich die Spielfigur Hanzo bevorzugt und eine dementsprechende Spiel- und Heldenerfahrung aufweist.

[8] Hanzo Main, The Ultimate Insult. URL: https://www.youtube.com/watch?v=62OS1PKjUAU (Letzter Aufruf: 03.06.2017).

[9] Ein Flamer ist eine Person, die in Online-Foren oder -Spielen kontinuierlich Streitigkeiten mit anderen Spielenden provoziert und sich dabei durch einen beleidigenden Umgangston auszeichnet.

[10] Vgl. Vermeulen, Lotte: You Are What You Play? A Quantitative Study into Game Design Preferences across Gender and their Interaction with Gaming Habits. URL: http://www.digra.org/wp-content/uploads/digital-library/11313.31106.pdf. 2011. S. 1-2. (Letzter Stand: 03.06.2017).

[11] Vgl. Hahn, Sabine: Gender und Gaming. Frauen im Fokus der Games-Industrie. 1. Auflage. Bielefeld: transcript Verlag 2017. S. 71.

[12] Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware: Nutzer digitaler Spiele in Deutschland 2014. URL: https://www.biu-online.de/marktdaten/infografik-nutzer-digitaler-spiele-in-deutschland-2014/ (Letzter Stand: 03.06.2017).

[13] Vgl. Hahn 2017. S. 78.

[14] Vgl. Klimmt, Christoph: „Das Medium der Spaßgesellschaft. Offene Fragen der Unterhaltungsforschung und Computerspiele“. In: Thimm, Caja (Hg.): Das Spiel: Muster und Metapher der Mediengesellschaft. 1. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag 2010. S. 135.

[15] Kalweit, Cathrin: Mit Macht zur Macht. URL: http://www.sueddeutsche.de/karriere/frauen-mit-macht-zur-macht-1.516087 (Letzter Aufruf: 06.06.2017).

[16] YouTube: Two Toxic Girl Mercy Mains Fight Overwatch. URL: https://www.youtube.com/watch?v=xscfron_tjk (Letzter Aufruf: 12.06.2017).

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Über Nils Bernd Michael Weber

Nils Bernd Michael Weber schreibt und castet nun schon seit einiger Zeit für Pixeldiskurs.de. Ansonsten hat er eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert, einen Bachelor in Medienwissenschaft abgeschlossen und studiert nun im Master "Medien und kulturelle Praxis" an der Philipps-Universität Marburg. Er behauptet von sich selbst Ästhetiker, Feminist und Kulturkritiker zu sein. Ersteres lebt er in Maßen auf seinem Pinterest-Account aus.