Thimbleweed Park: Zwischen Pixelkunst und Mediennostalgie

Das neue Adventure von Ron Gilbert und Gary Winnick führt uns zurück in die Vergangenheit. Genauer gesagt, in das Jahr 1987, in dem Thimbleweed Park spielt oder besser gesagt, als Retro-Game gespielt wird. Schafft es Thimbleweed Park, den Charme der Vergangenheit einzufangen und ihn mit modernem Game Design zu kombinieren oder schwelgt das neu-alte Adventure zu sehr in Mediennostalgie?

Noir-typisch fängt die Geschichte von Thimbleweed Park mit einem Mord an, den es durch die zwei Agenten Ray und Reyes aufzuklären gilt. Schnell entpuppt sich der Fall jedoch als eine großangelegte Verschwörung rund um das kafkaeske Städtchen Thimbleweed Park. Was hat es zum Beispiel mit den kuriosen Taubenverkleidungen der Klempner zu tun und sind der Sheriff und der Gerichtsmediziner nicht ein und derselbe? Auch werden die Motive der beiden spielbaren Agenten immer fragwürdig: Sind die beiden wirklich nur wegen des Mordes in Thimbleweed Park?

Die fünf spielbaren Figuren.

Diese Mysterien sind spannend und motivieren zum Weiterspielen. Auch die drei anderen Spielfiguren, die durch Erinnerungssequenzen eingeführt werden, fahren mit spannenden Geschichten auf.

Atmosphärische Geschichten zu kreieren, gelingt Thimbleweed Park also sehr gut. Das Adventure scheitert allerdings darin, diese Geschichten auch sinnvoll miteinander zu verbinden. Die Verflechtung wirkt sehr künstlich und spielt erst gegen Ende, also nach knapp zehn Stunden, eine Rolle. Eine gemeinsame Agenda der Figuren fehlt, weshalb es oftmals befremdlich ist, dass diese in Rätseln miteinander interagieren und Gegenstände austauschen müssen. Eine Absprache der Figuren, die deren Kooperation plausibilisieren würde, hätte hier bereits ausgereicht. Terrible Toybox’ Thimbleweed Park kann sich eine Scheibe von Wadjet Eye Games Resonanz abschneiden, dem die Verflechtung der einzelnen Figurengeschichten ausgezeichnet gelingt. Maniac Mansion, in dessen Fußstapfen Thimbleweed Park treten möchte, hatte dieses Problem beispielsweise auch nicht.

Die Spielfiguren können nicht sterben, wie oft von Thimbleweed Park mit einem Seitenhieb auf die Sierra-Adventures betont wird. Damit entstehen auch keine Sackgassenkonstellationen, wie es sie noch in Maniac Mansion gab, wenn Figuren relevante Gegenstände mit in das Grab nehmen. Das ist eine gute und zeitgemäße Sache, die dazu führt, das Spiel nicht immer wieder neu starten zu müssen.

Der Kopierer funktioniert nur mit fünf Cent.

Einige Rätsel sind allerdings arg eigensinnig gestaltet. Ein Beispiel: Der Sheriff erlaubt Ray und Reyes (obwohl diese als FBI-Agenten eigentlich über ihm stehen), Thimbleweed Park nur mit einer Karte zu erkunden. Alle Karten der Stadt wurden jedoch (warum auch immer) vom Sheriff eingezogen. Ray und Reyes müssen sich nun eine Karte kopieren gehen. Doch der Kopierer benötigt eine Fünf-Cent-Münze. Zuvor haben die beiden Spielfiguren eine Zehn-Cent-Münze zum Telefonieren verwendet, die sie danach auch wieder einsammeln können. Logisch wäre es nun, die zehn Cent in einem beliebigen Geschäft, in zwei Fünf-Cent-Münzen zu wechseln. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht. Stattdessen muss eine zuvor eingesammelte Flasche im Supermarkt gegen fünf Cent eingetauscht werden. Solche Logiklöcher kommen leider öfter vor und sorgen für Frustration an einigen Stellen.

Frustrieren kann auch die Bedienung: Das Eingabesystem SCUMM wirkt veraltet und sperrig. Weil die kontextabhängigen Hauptaktionen ohnehin mit den beiden Maustasten abgerufen werden können, werden die meisten Verben weitestgehend obsolet – was sehr schade ist, denn das Interface nimmt einen großen Raum des Bildschirms ein, und verdeckt damit die schöne Grafik von Thimbleweed Park.

Die Hintergründe sind wunderschön gezeichnet.

Das (Grafik-)Design ist das Highlight von Thimbleweed Park. Heutzutage sieht man selten ein so detailliertes Adventure. Ron Gilbert und Gary Winnick legen viel Wert auf Details, wie die vollgestopften Bücherregale und vielen Easter Eggs zeigen. Die Schauplätze sind zudem allesamt äußerst schön gezeichnet, sodass die Hintergründe fast schon gemäldeartig wirken. Zumindest erinnert Thimbleweed Park öfter an (vermeintliche) Idyllen wie Twin Peaks.

Genau so dick wie Twin Peaks trägt allerdings auch Thimbleweed Park auf. Während Twin Peaks damit zumindest noch eine Reflexion der eigenen Form – nämlich die Kombination von Soap Opera und Krimi – anstrebt, verliert sich Thimbleweed Park in Selbstreferentialität. Das Spiel findet seine Metaebene erst gegen Ende, was ich als too little, too late empfunden habe. Personalisiert wäre Thimbleweed Park wohl jemand, der sich selbst für unglaublich witzig hält, es eigentlich aber nicht ist. Das mag aber vielleicht auch einfach an dem nicht mehr so zeitgemäßen LucasArts-Humor liegen.

Die vielen Selbstreferenzen können schon mal erschlagen.

Anders gesagt, ist Thimbleweed Park Camp. „It is the love of the exaggerated“[1], mit Susan Sontags Worten. Dieser Hang zur Übertreibung ist mediennostalgischer Natur, da damit auf „die Sehnsucht nach der spezifischen Verfasstheit eines Mediums zu einem spezifischen Zeitpunkt“[2] abgezielt wird. Ununterbrochen wird so die gute alte Zeit der Adventure-Ära von Thimbleweed Park gepriesen, ohne die mediennostalgische Verklärung zu entlarven. Weil Thimbleweed Park diese Chance verspielt, alles nur in Anführungszeichen setzt, bleibt es zwar ein nettes Retro-Game,  bringt in das Adventure-Genre jedoch keinen frischen Wind.


[1] Sontag, Susan (2009): „Notes on ‚Camp‘“. In: dies. (Hrsg.): Against interpretation and other essays, London: Penguin Books, S. 297.

[2] Felzmann, Sebastian (2012): Playing Yesterday. Mediennostalgie im Computerspiel. Boizenburg: Hülsbusch, S. 28.

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Über Kevin Pauliks

Kevin Pauliks (kp) studierte von 2011 bis 2016 Medienwissenschaft und Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Als Redakteur von Pixeldiskurs hegt er ein besonderes Interesse an Adventure-Games und Serien aller Art.