Identifikation trotz Diskriminierung. Wie starke Figuren Inklusion von Behinderung in Videospielen fördern können

„Wieso ist das denn jetzt schon wieder diskriminierend? Das war doch überhaupt nicht so gemeint!“
Das ist eine Aussage, die sich jede Person, die zu einer Minderheit gehört, vermutlich in der ein oder anderen Form schon einmal anhören musste. Auch Menschen mit einer Behinderung sind da keine Ausnahme. Diskriminierende sehen die Definitionsgewalt von Diskriminierung oft bei sich selbst und identifizieren sie nur dann als solche, wenn sie verletzen oder herabsetzen soll, so Birgit Rommelspacher, Professorin für Psychologie an der Fachhochschule Berlin. Doch das ist nur eine von vielen Formen, die Diskriminierung annehmen kann.

Häufig ist sie sehr viel subtiler, durch die Gesellschaft internalisiert und/oder durch Institutionen dieser unterstützt. Deshalb ist die Perspektive derjenigen, die tatsächlich diskriminiert werden, entscheidend, denn bei ihnen liegt die Deutungshoheit. Für Menschen mit Behinderung zeige sich Diskriminierung daher „in allem, was sie einschränkt, herabsetzt und verletzt aufgrund ihres Behindert-Seins.“[1] Zu diesen Einschränkungen gehört beispielsweise auch das Verweigern von symbolischer Macht, das sich laut Rommelspacher

„auf das Prestige [bezieht], das den verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft zugeschrieben wird: Wer hat das Sagen, wer wird gehört, wer wichtig genommen oder sogar bewundert. Symbolische Diskriminierung verweigert gesellschaftliches Ansehen: Die Anderen werden unwichtig gemacht, man hat kein Interesse an ihnen und weiss nichts von ihnen.“ [2]

Das bedeutet also, es liegt dann eine symbolische Diskriminierung vor, wenn symbolische Macht Menschen mit Behinderung von jenen verweigert wird, die diese innehaben und drückt sich in der Nicht-Thematisierung von und dem Desinteresse gegenüber dieser Personengruppe aus.

Wie schon im Einstiegsartikel zu unserem Themenmonat hervorgehoben wurde, finden sich in der heutigen Spielelandschaft kaum Spiele, in denen behinderte Figuren überhaupt vorkommen. Und selbst die wenigen Spiele, in denen diese Figuren auftauchen, greifen sehr oft auf stereotype Darstellungen zurück und vermeiden so eine reflektierte Thematisierung von Behinderung. Eines der wenigen Beispiele, das eine nuanciertere Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt, ist Life Is Strange, wie hier nachzulesen ist. Colin Barnes, einer der bekanntesten Forscher im Bereich der Disability Studies, befasste sich bereits 1992 mit derlei Stereotypen und verfasste eine Typologie, die sich auch heute noch auf einen Großteil von Mediendarstellungen von Behinderung anwenden lässt.

I Quelle: http://www.finalfantasyviipc.com/en

Innerhalb der Vorbereitung auf diesen Themenmonat sprachen wir von Pixeldiskurs sehr detailliert über diese Typologie, auch immer darum bemüht, sie auf Videospiele anzuwenden. Diesen Versuch möchte ich auch hier wagen: Das beispielhaft untersuchte Spiel ist Final Fantasy VII, spezifischer die Figur Barret Wallace. Der starke und selbstbewusste Anführer der Widerstandsgruppe AVALANCHE, die gegen den Shinra-Konzern und dessen Ausbeutung des Planeten kämpft, ist unterhalb seines rechten Ellenbogens amputiert. Der fehlende Arm wird durch einen Gewehrarm ersetzt, der ihm im Spiel als Waffe dient. Mit dieser Prothese ist ein normales Leben für ihn kaum möglich, sie ist nur auf Kampf- und nicht auf Alltagstauglichkeit ausgerichtet. Dies und auch die Tatsache, dass seine Stärken im Spiel vor allem bei Kraft und Verteidigung liegen, zeichnet ihn deutlich als Super-Cripple aus.[3] Auch die Kategorie The Disabled Person as Normal [4] tritt hier zutage; es werden keine Probleme, die mit der Behinderung und vor allem mit dieser Art der Prothese einhergehen, thematisiert und so die Behinderung selbst marginalisiert.

An dieser Stelle könnte der Artikel nun auch enden, das Fazit würde lauten, dass Diskriminierung schlecht ist oder dass Videospiele sich weiterentwickeln müssen und das wäre vollkommen richtig. Trotzdem möchte ich mit so einem pessimistischen Ausblick noch nicht abschließen und stattdessen die Frage stellen: Welches Potenzial kann selbst eine stereotype Figur, wie Barret eine ist, in sich tragen?

Auf seinem Blog schreibt Serf über seine Behinderung und seine Erfahrungen, die er mit Final Fantasy VII in seiner Kindheit gemacht hat, kurz nachdem ihm sein Bein amputiert werden musste. Er erzählt von Barret als eine Figur, die ihn im Umgang mit seiner Behinderung und seiner Beinprothese positiv beeinflusste: „He was my favorite character because I could relate to him. I saw a bit of myself in him, because I was also impossible to shut up and I wasn’t afraid to speak my mind or show my prosthesis to people.”[5] Der starke, selbstbewusste und raue Charakter von Barret imponiert dem Blogger auch heute noch:

„And I still like Barret because he doesn’t hide or apologize for what he is. He’s still one of my favorite characters in video games because I see so much of myself in him, and he was a comforting character to see portrayed onscreen. Barret didn’t let his disability hold him back, he turned it to his advantage and even saved the world. What more could you ask for in a representation of yourself?”

Hier spielt nicht nur die bloße Darstellung und damit Thematisierung von Behinderung eine Rolle, sondern auch die sonstige Charakterzeichnung: Innerhalb des Spiels wird Barret weit mehr über seine raue und aufbrausende Art sowie seine enge Beziehung zu Marlene charakterisiert, als über seine Behinderung, die nur einen kleinen Teil seines Gesamtbildes ausmacht und vor allem über das Design vermittelt wird.

Es bleibt trotzdem dabei: Es ist dringend notwendig, dass Videospiele sich weiterentwickeln und aufhören, behinderte Figuren weitgehend aus dem Kanon auszuschließen. Außerdem sollte sich bei Inklusion von Behinderung nicht länger auf althergebrachte und diskriminierende Stereotypen verlassen werden, sondern auf eine vielschichtige und reflektierte Darstellung. Doch es zeigt sich ebenfalls, dass die zu Beginn angesprochene Deutungshoheit von diskriminierten Personen auch ins Positive gewendet werden kann: Es können sich auch aus weniger vielschichtig gestalteten Figuren, die bezüglich ihrer Repräsentativität viele Makel aufweisen, Identifikationsfiguren für behinderte Menschen ergeben, die sie empowern und ihnen dabei helfen können, mit ihrer Behinderung umgehen. Und das ist doch schon mal ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.


[1] Rommelspacher, Birgit: Wie wirkt Diskriminierung? Am Beispiel der Behindertenfeindlichkeit. URL: http://www.birgit-rommelspacher.de/wie_wirkt_diskriminierung.pdf, S.2.

[2] Ebd., S. 1f.

[3] Colin Barnes verwendet diesen Begriff innerhalb seiner Typologie. In diesem Zusammenhang bedeutet diese Kategorie die übermenschliche Kraft, die mit der Behinderung (hier in Form der Prothese) einhergeht. Vergleiche hierzu Barnes, Colin: Disabling Imagery and the Media. An Exploration of the Principles for Media Representations of Disabled People. Halifax: Ryburn 1992. URL: http://disability-studies.leeds.ac.uk/files/library/Barnes-disabling-imagery.pdf.

[4] Ebd.

[5] https://serfbazaar.wordpress.com/2015/06/17/barrett-embracing-and-overcoming-disability/.

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Über Sophie Bömer

Sophie Bömer (sb) ist seit 2013 Studierende an der Philipps-Universität Marburg und hat vor Kurzem ihren Master in Medienwissenschaften begonnen. Obwohl sie sich selbst nicht unbedingt als eingefleischte Spielekennerin bezeichnen würde, hat sie dennoch Freude daran, sich (auf wissenschaftliche Weise) mit Videospielen aller Art auseinanderzusetzen. Neben diesem Interesse und dem beinahe ungesunden Konsum von Serien auf Netflix setzt sie sich auch gerne mal mit den Fan Studies auseinander.