Gespielte Gesellschaft: Das Große Spiel in Dragon Age: Inquisition

Bald ist es wieder so weit. Kaiserin Celene veranstaltet ein Fest im Winterpalast, ein prunkvolles Schloss erbaut in der einstigen Heimatstadt vieler Elfen – Halamshiral. Kaum verbreitet sich diese Ankündigung in Orlais, dem Land der Adelsfamilien, werden auffallende Kostüme genäht und verzierte Masken gefertigt. Adelsfrauen und -männer bereiten sich auf ein zukunftsträchtiges Gesellschaftsereignis vor, während hinter den Kulissen die Barden ihre Dolche schärfen. Denn Kaiserin Celene hat mit ihrer Ankündigung eine weitere Runde eingeläutet: Das Große Spiel geht weiter.

Dass Dragon Age: Inquisition für mich auch nach 100 Stunden Spielzeit noch keinen Funken Faszination verloren hat, kann vielerlei Gründen gutgeschrieben werden: Überraschend gelungenes Pacing, herausragendes Charakterdesign oder die Spielwelt selbst. Letztere übt eine besondere Faszination aus, da sie grundlegende Fragen über die gesellschaftlichen und sozialen Strukturen sowie die Geschichte der fiktiven Gesellschaften beantwortet. Das bereits benannte Große Spiel (in Folge auch: Das Spiel, engl.: The Grand Game) ist eine Gesellschaftsform, die nur in einem Gebiet der Spielwelt herrscht und unter dem orlaisianischen Adel zum Gewinn politischen Einflusses ausgetragen wird. Macht ist das Ziel und alle Mittel sind erlaubt – nur verplappern oder erwischen lassen darf man sich nicht.

Dieser öffentlich zur Schau gestellte Machtkampf einer so dekadent erscheinenden Gesellschaft ist kein gänzlich neues Thema in digitalen Spielen. Schon die Assassin‘s Creed-Reihe setzt seit dem zweiten Teil stark auf solche Feindbilder und Antagonisten. Ob wir es nun mögen oder nicht, zwingt Dragon Age: Inquisition uns jedoch, an dem Spiel teilzunehmen – es zu spielen und unsere Schauspiel-, oder besser: Rollenspielkünste unter Beweis zu stellen.

Der erste Auftritt einer Figur im Film ist essentiell für den Eindruck, den sie hinterlässt, und aus diesem Grund zumeist akribisch inszeniert. Auch die erste Konfrontation mit Adeligen, die das Spiel spielen, stellt dabei keine Ausnahme dar. Im folgenden Video schauen wir uns genau diese Sequenz einmal an. Auf Einladung der Hofverzauberin Vivienne de Fer findet sich unsere Protagonistin im Chateau der Gastgeberin wieder. Hier sei angemerkt, dass aufgrund der Vielzahl an irreführenden Begriffen die deutschsprachige Version aufgenommen wurde. Wie das Setting und die Namen bereits vermuten lassen, fehlt es der deutschen Synchronisation lediglich an den unerwartet französischen Akzenten der Feiergäste.

Zu Hofe trieft zunächst der Schleim mit jedem Wort, das ausgesprochen wird. Das Spiel neigt zu gespielter Freundlichkeit, die sich wie eine Maske, welche in der Öffentlichkeit immer getragen wird [1], über die wahren Intentionen der SpielerInnen legt. Das gesprochene Wort, Erzählungen und Geschichten scheinen ebenfalls beliebt, besonders, wenn sie zur Übertreibung neigen.

Der in unserem Fall zu Tode kommende Marquis begeht gleich zwei Fehler. Zum einen bricht er den Kodex der Kaiserlichen Ritter (Chevaliers), indem er nach seinem Schwert greift. Ob lediglich Provokation oder tatsächliche Bedrohung scheint egal – wer die Regeln bricht, darf mit dem Tod bestraft werden. Zum anderen grenzt sich der Marquis aber auch vom sozialen Gefüge des Spiels ab, indem er in der Öffentlichkeit provoziert, ohne selbst großen Einfluss zu haben. Dieser Aspekt wird besonders hervorgehoben, wenn wir eine der beiden anderen Optionen auswählen. In beiden Fällen überlebt der Marquis, ihm droht jedoch die Enterbung und somit auch der Verlust jeglicher Zugehörigkeit zum Adel. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Hofverzauberin Vivienne großen Einfluss im Spiel besitzt und diesen ohne zu zögern nutzt.

Viviennes Handeln gilt dem Regelwerk des Spiels nach als gerechtfertigt. Viele Stunden später in Dragon Age: Inquisition lernen wir hinzu, dass sich der Machtkampf noch intensiver hinter den Kulissen abspielt. Da sich der Adel jedoch selbst nicht die Hände schmutzig machen möchte und ohnehin nicht bei zwielichtigen Aktivitäten beobachtet werden darf, werden Barden dafür engagiert. Wie Söldner erfüllen sie Aufgaben für ihre Auftraggeber, sie denunzieren, sabotieren oder morden. Informationen dazu erhalten wir bequem aus erster Hand, denn unsere Beraterin und Spionin der Inquisition, Leliana, übte die Profession selbst über Jahre hinweg aus.


Es ist ein blutiges Spiel, das dort in Orlais gespielt wird. Und doch bleibe ich immer wieder an dem Namen hängen: Das Große Spiel. Man möchte den Entwicklern bei Bioware gerne anhängen, sie hätten ihre Inspiration für diesen Namen in den Werken des Kulturhistorikers Johan Huizinga gefunden. Dieser stellte in Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel dar, wieso das Konzept des Spielens Voraussetzung für die Entwicklung von Kultur sei. Er beschreibt auch, dass im Verlauf der Entwicklung einer Kultur das „Spielelement allmählich in den Hintergrund“ tritt und dabei beispielsweise in Kunstformen, Recht und Staatsleben aufgeht. Dass Spielformen dabei jedoch nicht gänzlich verloren gehen, betont er in Folge:

„Zu allen Zeiten jedoch kann sich der Spieltrieb auch in den Formen einer hochentwickelten Kultur mit voller Kraft wieder geltend machen und sowohl die Einzelperson wie die Massen in den Rausch eines riesigen Spiels mit fortreißen.“ [2]

Im Vergleich zu vielen anderen, eher mittelalterlich angehauchten Gebieten der Spielwelt ist Orlais nicht nur das Land des Adels, sondern auch der Universitäten und Gelehrten – eine Hochkultur, wenn man so will. Und dieses Land hat trotz oder gerade wegen aller Kultur das Große Spiel als Gesellschaftsform für sich erwählt und trägt es offen als solches vor sich her. Dass Machtkampf im Alltag auch mal als Machtspiel bezeichnet wird, erscheint uns auch nicht ungewöhnlich. Deshalb ist das Spiel in Dragon Age: Inquisition ein spannender Ansatz, um Spielformen in realen oder in fiktiven Kulturen weiter zu denken oder auch zu hinterfragen.

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[1] Auf der Dragon Age Wiki-Seite wird im Artikel über Orlais darauf verwiesen, dass es als tölpelhaft gilt, in der Öffentlichkeit keine Maske zu tragen. Selbst Chevaliers (Ritter des Kaiserlichen Hofes) tragen im Kampf Masken, die das Gesicht meist komplett verdecken.

[2] Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. (23. Auflage) Reinbek: Rowohlt 2013.

 

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Über Alexander Henß

Alexander Henß (ah) studierte den M.A. Medien und kulturelle Praxis an der Philipps-Universität Marburg. Er hat eine ausgeprägte Leidenschaft für Indie Games. Überhaupt schaut er sich aber gerne mal alles an, mag dann auch manches, stellt Thesen auf und sammelt Eindrücke.