The Elder Scrolls V: Skyrim

Softwarelogik und diegetische Kohärenz: Wegfindung in „The Elder Scrolls V: Skyrim“

Dieser Beitrag wird sich im Folgenden nicht nur mit der bildschirmspielinhärenten Softwarelogik und deren Auswirkungen auf die diegetische Kohärenz befassen, sondern gleichzeitig der Startpunkt einer Beitragsreihe werden, die in loser Folge auf Pixeldiskurs erscheinen soll.

Dabei wird es, wie bereits im Namen angedeutet, darum gehen, wie sich Fehler oder Ungenauigkeiten im Medium des digitalen Spiels auf die narrative Kohärenz und letztlich die Diegese auswirken. Viele solcher Fehler wurden bereits in diversen Spielen entdeckt und sind durch ihre ungewollte Rekurrierung auf „das Medium als Werkzeug“ ein Teil der Popkultur geworden, so z.B. das ebenfalls durch The Elder Scrolls V: Skyrim bekannte „Arrow to the knee“-Meme, welches abseits seines Ursprungsmediums bereits im Fernsehen Erwähnung fand (z.B. in der populären US-amerikanischen Serie NCIS).

Diese im Spiel auftretenden narrativen Logikfehler würden jedoch in anderen Medien (z.B. in Büchern, Film und Fernsehen) den Rezipienten regelmäßig aus seiner Involvierung herausreißen, da er sich plötzlich mit Inkonsistenzen in der Diegese auseinanderzusetzen hat, die den logischen Fluss der Narration erschweren oder sogar empfindlich stören können. Daher soll diese Reihe dazu dienen, einige der interessantesten Fälle aufzuzeigen und zu archivieren.

Teil 1: Wegfindung in „The Elder Scrolls V: Skyrim“

Skyrim ist durch die Größe der diegetischen Welt und die Vielzahl der miteinander interagierenden Objekte geradezu prädestiniert für Logikfehler. Der Fokus dieses ersten Beitrags richtet einen genaueren Blick auf die Wegfindung diverser Spielfiguren in Skyrim – vor allem aber diejenigen, die dem Spieler feindlich gesinnt sind.

Fallbeispiel 1

Gegeben sei eine typische Situation in Skyrim: Der Spieler erhält den Auftrag, eine Höhle von einer Gruppe Banditen zu befreien. Nachdem sich der Protagonist durch die verschachtelten Wege voll niederer Schergen gekämpft hat, steht er in einer größeren Höhle dem Banditenanführer gegenüber. Dieser besitzt bessere Kampfwerte und eine bessere Ausrüstung als der Protagonist, sodass es sehr wahrscheinlich ist, dass der Kampf zu dessen ungunsten ausgeht. In der Mitte des Raumes steht eine Tischreihe, die die beiden Kontrahenten voneinander trennt.

Skyrim: Kampfsituation (Fallbeispiel 1, Bild 1)

Statt des direkten Weges über die Tischreihe…

Skyrim: Kampfsituation (Fallbeispiel 1, Bild 2)

…entscheidet sich der Gegner für einen Umweg.

Im Verlauf des Kampfes reagiert der Spieler auf die Überlegenheit des Gegners mit einem Fluchtreflex, wobei er nach einem Sprung über die Tischreihe bemerkt, dass dieser nicht ebenfalls über die Tischreihe springt, sondern den längeren Weg außenherum nimmt. Dies kann nicht nur beliebig wiederholt werden, sondern verschafft dem Spieler einen taktischen Vorteil, da er in dieser Situation z.B. eine Fernkampfwaffe einsetzen kann, um den Gegner mit Projektilen einzudecken, ohne einen direkten Nahkampfangriff befürchten zu müssen.

Ergebnis: Die Wegfindung der Gegner in Skyrim entscheidet sich in bestimmten Situationen nicht für den direkten Weg, sondern nimmt deutliche Umwege in Kauf.

Fallbeispiel 2

Gegeben sei eine ähnliche Situation wie in Fallbeispiel 1, jedoch mit erhöhter Feindesanzahl und einem Springbrunnen statt einer Tischreihe in der Höhlenmitte.

Kampfsituation: Skyrim (Fallbeispiel 2, Bild1)

Die Feinde haben keine direkte Möglichkeit, den Höhenunterschied zu überwinden…

Skyrim: Kampfsituation (Fallbeispiel 2, Bild 2)

…und kehren daher wieder an ihren angestammten Ursprungsort zurück.

Sobald der Spieler den Avatar in den Brunnen springen lässt, befindet sich dieser auf einer erhöhten Ebene ohne direkte Wegverbindung zu den angreifenden Gegnern. Diese laufen aufgrund dessen zum Brunnen, scheitern jedoch daran, dass es keinen direkten Zugang gibt und kehren wieder auf ihre Ursprungspositionen zurück, ohne den Spieler effektiv angegriffen zu haben. Der leichte taktische Vorteil aus Fallbeispiel 1 wird zum privileged move,  da die Gegner scheinbar nicht in der Lage sind, diesen Höhenunterschied durch einen Sprung zu überwinden.

Ergebnis: Gegner in Skyrim können scheinbar keine abrupten Höhenunterschiede bewältigen, bzw. besitzen keine Sprung-Fähigkeit.

Extrapolation der beiden Fallbeispiele

Nutzt man die Ergebnisse der beiden Fallbeispiele, um diese auf theoretisch auftretende weitere Situationen im Spiel anzuwenden, entstehen kuriose Situationen, die in keinem Buch oder Film logischen Bestand hätten. So könnte z.B. der Sturm auf eine zu verteidigende Festung dadurch verhindert werden, indem man diese mit Esstischen umrundet.

Lösungsansätze

Zurückzuführen ist dieser Umstand scheinbar darauf, dass das Spiel einen deutlich höheren Programmieraufwand (vor allem durch Tests und Bugfixing) erfordert hätte, wenn die gegnerischen Spielfiguren ebenfalls springen könnten. Somit erscheint die Nicht-Implementation des Sprung-Algorithmus bei allen Gegnern als eine leicht umzusetzende und pragmatische Lösung, die jedoch in einzelnen Situationen zum beobachteten seltsamen Verhalten führt.

Ein diegetisch korrekter Lösungsansatz wäre daher die Möglichkeit, das blockierende Hindernis (sofern möglich) vom Gegner zerstören zu lassen, was durch eine entsprechende Abfrage hätte realisiert werden können (Objekt zerstörbar? Wenn ja: Waffe zur Zerstörung des Objektes vorhanden? Wenn ja: Objekt mit Waffe zerstören. Etc.). Ein weiterer Ansatz wäre die Hinzunahme einer Fernkampfwaffe für den Gegner gewesen, damit die Verhältnisse ausgeglichen sind. Durch die Implementation einer Routine, die es Spielfiguren ermöglicht, die Umgebung nach bestimmten Waffen abzusuchen, hätte diese Situation dadurch deutlich kohärenter gelöst werden können (Fernkampfwaffe im eigenen Inventar vorhanden? Wenn nein: Fernkampfwaffe in näherer Umgebung vorhanden? Wenn ja: Fernkampfwaffe einsammeln und zur Kampfhandlung zurückkehren. Etc.).

Fazit

Die diegetische Logik wird durch die in bestimmten Algorithmen unzulängliche Software-Logik beeinflusst und schafft dadurch Inkonsistenzen, die sich direkt auf die Involvierung des Spielers auswirken.

Es bleibt festzuhalten, dass sich durch den daraus entstehenden Exploit die Art des Spielens ändert, da der Spieler dadurch einen taktischen Vorteil erhält und eine außerhalb der Diegese befindliche programmierlogische Unzulänglichkeit nutzt, um die Progression innerhalb des Spiels voranzutreiben.

Hinweis
Eine ausführliche Betrachtung dieses Phänomens findet sich im Artikel „Bug or Feature? Softwarelogik im Spannungsfeld von diegetischer Kohärenz und technischer Störung“ im Buch Playing In-between – Intermediale Aspekte zeitgenössischer Computerspielpraxis.

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Über Bernhard Runzheimer

Bernhard Runzheimer (br) ist ausgebildeter Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung und arbeitete mehrere Jahre in diesem Beruf, bis er von existenziellen Sinnfragen an die Uni getrieben wurde. Von 2011 bis 2014 absolvierte er als Jahrgangsmethusalem den Bachelorstudiengang Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Obwohl er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters die Vorlieben seiner Kommilitonen für Pokemon, Transformers-Filme und ausschweifende Partys nicht wirklich teilt, hat er sich trotzdem dafür entschieden, zusätzlich den M.A. Medien und kulturelle Praxis in Marburg zu studieren. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Digital Humanities der Philipps-Universität Marburg, ist Gründungsmitglied und ehemaliger Chefredakteur des studentischen Game Studies-Kolloquiums der Philipps-Universität Marburg sowie Autor/Admin bei pixeldiskurs.de.