Back to Bed und der Verrat der grünen Äpfel

Als ich auf der Gamescom plötzlich vor einem Stand mit der Aufschrift Back to Bed  stand, war ich erst kurz verwundert. Ich kannte das Indie-Game lediglich als ein schon älteres studentisches Projekt, welches man als unfertige Beta im Internet spielen konnte. Um so erfreuter war ich, als Jonas Byrresen, Game Designer und Co-Founder von Bedtime Digital Games mir erzählte, dass sie mit einem kleineren Team 2013 eine Firma gegründet, das Spiel weiterentwickelt und vor wenigen Tagen auf Steam veröffentlicht hätten. Im wunderschön surrealen Back to Bed  steuert man Subob, das Unterbewusstsein der Figur Bob. Dabei ist es das Ziel, den Schlafwandler Bob zurück in sein Bett zu geleiten und ihn dabei zu beschützen. Das besondere dabei ist die Traumwelt, durch die sich die beiden bewegen. Sie ist eine Mischung aus realen und surrealen Elementen, die von den zahlreichen Referenzen zu Werken von René Magritte, Salvador Dalí, M. C. Escher und David Lynch lebt.

Dabei fiel mir vor allem der Bezug zu Magrittes Bild „Ceci n’est pas une pomme“ (Das ist kein Apfel) auf, mit dem der Künstler, wie bereits mit dem Gemälde „La trahison des images“ (Der Verrat der Bilder) darauf hinwies, dass auch das realistischste Bild eines Apfels lediglich das Bild eines Apfels und kein echter Apfel sei. Besagter Apfel, oder um es korrekt auszudrücken, die digitale Nachahmung eines Bildes von einem Apfel, ist in dem Spiel  Back to Bed jedoch nicht nur ein gestalterisches, sondern auch interaktives Element. Denn das Unterbewusstseins Subob legt dem schlafwandelnden Bob übergroße virtuelle Äpfel in den Weg, damit dieser die Richtung ändert und nicht vom Spielrand herunterfällt.

Ceci n'est pas une pomme. René Magritte, 1964

Ceci n’est pas une pomme. René Magritte, 1964

Ich spielte das Spiel ein wenig, während sich meine Kollegin Sabrina weiter mit Jonas Byrresen unterhielt. Da ich mich vor Kurzem noch mit der Neuinszenierung von Kunst und Kultur in Videospielen auseinandergesetzt hatte, überlegte ich, wie es sich hier mit Magrittes Apfel verhält. Dafür versuchte ich in drei Schritten die Aussage „Das ist kein Apfel“ vom statischen Gemälde auf das interaktive Videospiel zu transferieren. Zuerst die Festlegung, dass das Bild eines Apfels kein Apfel ist, da der gemalte Apfel nicht real ist. Oder vielleicht besser gesagt, weil er nicht für mich real ist. Ich führte die Überlegung weiter, was passieren müsste, damit dieser umstand sich ändert. Um mit dem Apfel in Verbindung zu treten, müssten wir uns auf einer Ebene begegnen. Dies funktioniert jedoch nicht mit einem Bild, da ich den Apfel weder aus dem Bild herausziehen, noch mich in das Bild hineinbewegen kann – denn selbst wenn ich mich neben den Apfel malen würde, bin nicht ich im Bild, sondern lediglich ein Abbild von mir. Zuletzt also die Frage, ob der Umstand des interaktiven Videospiels anstelle des statischen Gemäldes etwas daran ändert. Bei  Back to Bed  interagieren Bob und Subob mit dem Apfel. Während also für mich der Apfel lediglich eine digitale Abbildung eines Apfels ist, ist er für die Spielfiguren gewissermaßen real. Anders als bei einem Gemälde gibt es jedoch eine Verbindung zwischen der realen und virtuellen Welt. Die Verbindung zwischen dem Spieler und dem Avatar. Da ich die Figur Subob steuerte, interagieret also nicht nur meine Spielfigur, sondern auch ich mit dem Apfel. Für mich war also abstrakt betrachtet der Apfel durchaus real. Mit dem Controller als hardwaretechnische Schnittstelle zwischen mir und Bob bzw. Subob in der Hand, wollte ich gerade den Finger heben, auf den Bildschirm zeigen und in einem nach eigener Empfindung kunsthistorisch revolutionären Akt ausrufen „Das ist ein Apfel!“, als meine Kollegin Sabrina plötzlich etwas sagte und ich in meiner Bewegung innehalten musste. Sie fragte tatsächlich genau in diesem Moment Jonas Byrnes, warum sie Magrittes Äpfel genommen hätten. Ich war erstarrt und wartete gespannt. Jonas Byrnes antwortete jedoch ruhig, dass sie ein harmloses Spielelement wollten, um dem Spieler in der surrealen Welt nicht noch mehr Angst zu machte und der Apfel ein von Magritte so häufig verwendeter und schöner Gegenstand sei.

Le fils de l’homme, René Magritte, 1964

Le fils de l’homme, René Magritte, 1964

La Chambre d’Écoute. René Magritte, 1952

La Chambre d’Écoute. René Magritte, 1952

Verwundert blickte ich erst auf den Bildschirm und dann auf den Messetisch auf dem neben Spielkopien reale saftige grüne Äpfel lagen – und ich erinnerte mich. Auf fast allen Bildern Magrittes, die ich kannte, waren die Äpfel saftig grün, während bei „Ceci n’est pas une pomme“ (Das ist kein Apfel) ein goldroter Apfel abgebildet war. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Ich hatte den falschen Apfel und meine Überlegungen waren gefühltermaßen für den Wurm. Ich legte den Controller weg und Jonas Byrnes bot mir freundlich eine Pressekopie des grandiosen Spieles an, die ich auch gerne annahm. Nach einem der saftig grünen Äpfel fragte ich jedoch nicht. So einen hatte ich mir definitiv nicht verdient.

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Über Thomas Bendels

Thomas Bendels (tb) studierte nach Abschluss einer praktischen Ausbildung im Medienbereich den Bachelorstudiengang Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg (B.A.) und an der Universität Hamburg (M.A.).