Moebius: Die spielbare Dialektik

Die Gabriel Knight-Erfinderin Jane Jensen bringt mit dem Point-and-Click-Adventure Moebius: Empire Rising (2014, Pinkerton Road / Phoenix Online) ihr erstes Crowdfundingprojekt heraus. Als ein „metaphysical thriller“ wird das Spiel beworben. Doch was genau soll das heißen? Welche Thematik steckt hinter dem Spiel? Und wer oder was ist überhaupt ein Moebius?

moebius-cover

„Those who cannot remember the past are condemned to repeat it”[1], lautet das berühmte Zitat des Philosophen G. Santayana, das von Moebius als Leitmotiv adaptiert wird. Als Antiquitätenhändler Malachi Rector (Abb. oben) wird der Spieler vom fiktiven Geheimdienst FITA beauftragt historische Biographien zu analysieren. Was sich zunächst langweilig und trocken anhört, wird zum Dreh- und Angelpunkt des Adventures. Denn wie dem Spieler mit dem Zitat von Santayana aufs Auge gedrückt wird (Abb. 1), wiederhole sich das geschichtliche Muster wieder und wieder.

Abb. 1: Santayanas berühmtes Zitat wird vom Spiel adaptiert.

Abb. 1: Santayanas berühmtes Zitat wird vom Spiel adaptiert.

Im eigentlichen Sinne argumentiert Santayana jedoch nicht in einem solchen metaphysischen[2], sondern viel eher in einem pragmatischen Sinne. Nur wer sich seine Fehler aus der Vergangenheit bewusst macht, kann diese in der Zukunft vermeiden.[3]

Abb. 2: Eine Großteil des Spiels ist man damit beschäftigt den Archetyp Livia Drusilla zu suchen.

Abb. 2: Eine Großteil des Spiels ist man damit beschäftigt den Archetyp Livia Drusilla zu suchen.

Im Spiel geht es hingegen darum, dass sich die Biographien von Archetypen (z. B. Künstlern, Politikern und Wissenschaftlern) im Laufe der Geschichte wiederholen, sich aber nicht im Sinne des Fortschrittsglaubens optimieren. So ist der Spieler einen Großteil des Spiels damit beschäftigt den Archetyp Livia Drusilla[4] zu identifizieren (Abb. 2). Die zu ermittelnde Dame soll nämlich die Frau des zukünftigen Präsidenten (Archetyp: Augustus) werden und damit die USA in eine neue Ära – wie einst Rom – führen.

So flach und teilweise übertrieben patriotisch die Geschichte von Moebius klingen mag, macht der spannende Hintergrund das Spiel dennoch interessant. Der Titel verweist auf das Möbius-Band, das sich durch eine 180°-Rotation seiner Fläche auszeichnet (Abb. 3, b).[5] Im Gegensatz zu einem Kreis (Abb. 3, a) gibt es kein Innen und Außen. Genauer gesagt ist das Innere immer auch gleich das Äußere und umgekehrt.

Moebius-Band

Abb. 3: Links ein normaler Ring, rechts das Möbius-Band.

Ein Innen und Außen des Möbius-Bands kann also nicht gedacht werden. Die Metaphysik beschäftigt sich genau mit solchen Dingen: Mit dem Denken, was eigentlich nicht gedacht werden kann.[6] Sein und Nichtsein ist hier die Frage. Auch im Spiel äußert sich dieser Gegensatz. Denn die zu analysierenden Charaktere sind die historischen Archetypen, zugleich aber auch nicht. Der Senator, der im Spiel der zukünftige Präsident werden soll, ist die historische Figur Augustus und gleichzeitig auch er selbst (Abb. 4). Nur durch die übernatürliche Fähigkeit des Protagonisten kann dieses Muster überhaupt erst erkannt werden.

Abb. 4: Der Senator links, der imaginäre Archetyp Augustus rechts.

Abb. 4: Der Senator links, der imaginäre Archetyp Augustus rechts.

Ein solches Muster – die Widerkehr von Archetypen – wird im Spiel als ein  Möbius-Band beschrieben, das wie gezeigt die Widersprüchlichkeit von Sein und Nichtsein in sich trägt. Das Möbius-Band ist daher als eine dialektische Figur zu verstehen.[7] Die Dialektik ihrerseits ist so alt wie die Philosophie selbst. Hegel hat später den Begriff mit folgender Unterscheidung geprägt:

These – Antithese – Synthese

Dieses Prinzip der Logik wird in der Philosophie als Methode angewendet.[8] Am Möbius-Band veranschaulicht wäre die Innenseite die These, die Außenseite die Antithese und die Verbindung in der Rotation die Synthese beider Seiten. Im Spiel ist es so, dass der Senator die These wäre, die dem geschichtlichen Archetyp Augustus (Antithese) entgegensteht und sich in dem zukünftigen Präsidenten vereint. Die Antithese muss dabei nicht immer in einer Entweder/Oder-Logik stehen, sondern kann wie bei diesem Beispiel als Sowohl/Als-auch begriffen werden. Senator und Augustus sind zwar gegensätzlich (sie sind nicht die exakt gleiche Person), „haben aber etwas Gemeinsames an sich, wie etwa Schwarz und Weiß, die ja beide eine Farbe sind“[9]. Zu starr darf das dialektische Schema ohnehin nicht gedacht werden, da es sich sonst in sein Gegenteil umgekehrt, wie Adorno in einer Vorlesung feststellt:

Und das ist etwas, was für die Dialektik überhaupt höchst charakteristisch ist, die ja gerade zum Lebensnerv überhaupt hat, Verdinglichtes, Verhärtetes, Verfestigtes aufzulösen, nicht indem sie ihm das vorgeblich Lebendige und Unmittelbare einfach entgegenhält, sondern indem sie noch das Verhärtete gebraucht, indem sie gleichsam das geronnene Leben, die geronnene Arbeit, das Sedimentierte darin wahrnimmt und nur dadurch das Verhärtete und Verfestigte überwindet [10].

Bei genauer Betrachtung entspricht das Muster im Spiel eigentlich nicht dem dreidimensionalen Möbius-Band, sondern viel eher der vierdimensionalen Kleinschen Flasche. So wird im Spiel die (fiktive) Möbius-Theorie mit dem Satz „Space/Time is not linear in the 4th dimension“ erklärt (Abb. 5). Eine Kleinische Flasche kann man sich dabei als ein Möbius-Band vorstellen (oder eben nicht vorstellen), dass um eine vierte Dimension erweitert wurde.[11]

Abb. 5: Die Möbius-Theorie im Spiel.

Abb. 5: Die Möbius-Theorie im Spiel.

Abb. 6: Die (Papier-)Detektivarbeit wirkt zunächst abschreckend, entfaltet sich dann jedoch als würdiges Spielelement.

Abb. 6: Die Detektivarbeit wirkt zunächst abschreckend, entfaltet sich dann jedoch als würdiges Spielelement.

Schließlich kann das Spiel Moebius selbst als Dialektik beschrieben werden und das ist hier als Kritik und Lob – wie könnte es nicht anders sein – zugleich gemeint. Dinge die zunächst langweilig klingen, machen das Spiel stark, während die Spannungselemente aufgesetzt und dröge wirken. So sind es vor allem die historischen Referenzen die in Moebius gelungen sind. Die Detektivarbeit wirkt nachvollziehbar und schlüssig (Abb. 6).

Im Gegensatz zu diesem auf dem ersten Blick langweiligen ‚Papierkram‘, stehen die Actionsequenzen, die vor allem mit der sekundären Spielfigur David geleistet werden müssen. Diese fallen als unnötiges Egoperspektiven-Spektakel komplett aus dem Point-and-Click-Adventure heraus (Abb. 7).

Abb. 7: Die Actioneinlagen wirken aufgesetzt, nicht zuletzt wegen dem plakativen Perspektivwechsel.

Abb. 7: Die Actioneinlagen wirken aufgesetzt, nicht zuletzt wegen dem plakativen Perspektivwechsel.

Auch die Anlehnungen an die Sierra-Klassiker durch den typischen Highscore schwächelt durch nur scheinbar alternative Lösungswege. Zwar hat der Spieler in einzelnen Szenen die Option sich so oder so zu entscheiden, eine wirkliche Auswirkungen auf das Spiel hat das allerdings nicht. Größtenteils sind die Rätsel aber sehr abwechslungsreich gestaltet, z. B. muss man an einer Stelle sogar Granaten mit Timer benutzen, teilweise wiederholen sie sich dennoch, wie etwa die andauernde Suche nach dem Archetyp Drusilla.

Abb. 9: Die Spielfigur Malachi stakst gerne mal von A nach B.

Abb. 8: Die Spielfigur Malachi stakst gerne mal von A nach B.

An der Grafik kann sich nicht nur der herkömmliche Grafikfetischist stören. Oftmals schwankt sie zwischen schwammig bis pixelig . Dann lieber gleich eine 8-Bit-Optik. Insbesondere die staksigen Animationen der Spielfiguren sind sehr fremdartig (Abb. 8). Dabei passen die Figurenmodelle generell nicht gut in ihren Hintergrund, was wohl an der 2D/3D-Differenz liegt. In einigen wenigen Szenen schafft Moebius hingegen mit seiner Ästhetik zu überzeugen, wie z. B. die Darstellung der Uhr zeigt (Abb. 1). Auch die Zwischensequenzen – die zwar sehr schlecht aufgelöst sind – sprudeln vor ästhetischen Referenzen. Oft stellen sie einen Mix aus 24, Sherlock, und Sin City dar (Abb. 9).

Sin City und 24

Sherlock

Abb. 9: Der Split Screen erinnert an die Serie 24 (links), das Silhouettenhafte an den Film Sin City (rechts) und die Texteinblendungen, die Malachis Gedanken und Schlussfolgerungen widerspiegeln, an die Serie Sherlock (unten).

In Moebius findet schließlich die Synthese von Kritik und Lob statt. „[W]obei das Aufheben nach Hegel ein Negieren, Aufbewahren und Hinaufheben einschließt. Die Synthese hebt den Gegensatz in einer höheren Einheit auf“[12]. Man kann die einzelnen Kritik- und Lobpunkte also einzelnen miteinander abwiegen, betrachten und bewerten, die wirkliche Spielerfahrung (höhere Einheit) erfährt man jedoch nur in der Synthese des Spiels. So hat Moebius sicher seine Schwächen, die während dem Spielen aber wieder schnell vergessen sind.

 

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[1]  Santayana, George (1920): The Life of Reason. Or the Phases of the Human Progress, New York: Charles Scribner’s Son, S. 284.

[2]  Zur Metaphysik siehe weiter unten.

[3]  Und entsprechend sein Erbe weitertragen, vgl. ebd., S. 285.

[4]  Frau des ersten römischen Kaisers Augustus.

[5]  Abbildung in Rosen, Steven M. (1994): Science, Paradox, and the Moebius Principle. The Evolution of a “Transcultural” Approach to Wholeness, Albany: State University of New York Press,
S. 8.

[6]  Vgl. Petersen, Uwe (2012): Zwei kleine Schriften zur Grundlegung von Metaphysik und Dialektik, Uelvesbüll: Der Andere Verl., S. 15.

[7]  Vgl. Rosen 1994, S. 11

[8]  Vgl. Danner, Helmut (1998): Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. Einführung in Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik, 4. Aufl., München, Basel: E. Reinhardt. S. 178ff.

[9]  Ebd.

[10] Adorno, Theodor W. / Ziermann, Christoph (2010): Einführung in die Dialektik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 77.

[11] Vgl. Rosen 1994, S. 11f.

[12] Danner 1998, S. 186 [Hervorhebung im Original].

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Über Kevin Pauliks

Kevin Pauliks (kp) studierte von 2011 bis 2016 Medienwissenschaft und Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Als Redakteur von Pixeldiskurs hegt er ein besonderes Interesse an Adventure-Games und Serien aller Art.